Abschieds-Interview

"Don Quixotes Tod, das vergesse ich nie"

Interview. Nach 32 Jahren verlässt Thomas Angyan den Musikverein. Im Gespräch erinnert er sich an emotionale Momente.

Zweiunddreißig Jahre lang hat Thomas Angyan als Generalsekretär, später als Intendant die Geschicke der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien geleitet. Geht man mit ihm noch einmal durchs Haus, erinnert er sich an seinen allerersten Eindruck vom "Goldenen Saal". Er war noch ein Kind, als ihn die Eltern in ein Konzert mitnahmen - und es waren nicht die Karyatiden, die Klein Thomas besonderen Eindruck machten, sondern die Musik. Und das gar nicht plangemäß: "Es gab damals", erzählt Angyan, "eine Programmänderung. Man spielte Bruckners Neunte." Gerade kindergerecht war das nicht. Aber das sagt man ja auch von der Märchenoper "Hänsel und Gretel" von Engelbert Humperdinck. Die stand auch auf dem Kulturplan der Familie Angyan: "Das wäre mein erster Besuch in der Volksoper gewesen", sagt Angyan, "und auch dort änderte man im letzten Moment die Vorstellung: Man gab ,La Boheme'".

Dass Angyan schon als Kleinkind mit Livemusik konfrontiert wurde, verstand sich bei der musikaffinen Familie von selbst. Und wenn auch die allerersten Versuche nicht ganz nach dem pädagogischen Plan verliefen = "die Musik hat man mir damit nicht ausgetrieben". Ganz im Gegenteil. Sie blieb seine Leidenschaft, auch während des Jusstudiums. "Ich erinnere mich noch gut an die Zeit zwischen meinen Staatsprüfungen. Da arbeitete ich in einer Bank in London. Das war 1973, und es brach die erste große Erdölkrise aus. In den Büros wurde nur drei Tage pro Woche gearbeitet. Ich hatte also viel Zeit, im South Bank Center - das Barbican gab es noch gar nicht - Konzerte zu besuchen. Die billigsten Plätze waren dort hinter dem Orchester. Da konnte ich die Dirigenten genau beobachten - und da war meine Entscheidung gefallen: Nicht die Bankenwelt, die Musik muss meine Profession werden."

Als Rostropowitsch zürnte

Und wo hat der spätere Musikvereins-Kapitän begonnen? Im Konzerthaus! Peter Weiser brauchte damals für die Festwochen einen Assistenten. Da kam ihm der junge Thomas Angyan gerade recht. "Der Zufall wollte es, dass damals gerade Lisa Leonskaja aus der Sowjetunion emigrierte - und dass Mstislav Rostropowitsch und seiner Frau Galina Wischnewskaja bei der Ausreise aus Russland die Pässe abgenommen wurden. Rostropowitsch dirigierte damals die Festwochen-Premiere der ,Fledermaus' und spielte im Konzerthaus Bachs Cellosuiten. Ich durfte ihn betreuen."

Das sollte sich später noch bezahlt machen. Die schlechten Rezensionen, die Rostropowitsch für sein Johann-Strauß-Dirigat erhielt, bewogen den Weltklassemusiker dazu, Wien den Rücken zu kehren: "Er meinte, er würde nie wieder hier auftreten", erinnert sich Angyan, und tatsächlich bezeichnete es Albert Moser, Angyans Vorgänger als Musikvereins-Generalsekretär, bei seinem Abschied als größten Schmerz, Rostropowitsch nicht wieder zu einem Konzert überredet zu haben.

Angyan gelang es dann. Nach der kompliziertesten Aufgabe seiner Musikvereins-Zeit befragt, meint er: "Ich bin Rostropowitsch buchstäblich nachgefahren. Wie ich es übrigens auch bei Celibidache gemacht habe, der ja auch nie wieder in Wien erscheinen wollte. Nur, bei Celibidache musste man nur nach München pilgern. Rostropowitsch aber habe ich bei Auftritten in Burgund erlebt, dann wieder in Cagliari, manchmal irgendwo ,in the middle of nowhere'."

Das letzte Glissando

Steter Tropfen höhlt den Stein: "Schließlich ist Rostropowitsch zurückgekehrt und hat sogar mit Studenten der Musikuniversität im Musikverein gearbeitet." Die Frage nach den schönsten Erinnerungen an die Intendanten-Zeit ist damit zu einem Teil beantwortet: "Richard Strauss' ,Don Quixote' unter Seiji Ozawa mit Rostropowitsch sozusagen in der Titelrolle: Da war gewiss nicht mehr alles perfekt; aber das letzte Glissando, Don Quixotes Tod, das vergesse ich nie; da läuft es mir heute noch kalt über den Rücken, wenn ich daran denke."

Der emotionalen Momenten gab es freilich viele: "Eine der herrlichsten Erinnerungen ist Johann Strauß' ,Libelle' im Neujahrskonzert unter Carlos Kleiber. Das war ein beglückender Moment - man hatte das Gefühl, man bekommt selbst Flügel."

Kleiber wäre einer der Wunschkandidaten gewesen, die Angyan gern öfter auf dem Musikvereins-Podium begrüßt hätte. Wobei die meisten der Big Player im internationalen Musikbusiness sich die Türklinke des Musikvereins in die Hand gegeben haben.

Angyan ist aber auch froh, dass es ihm gelungen ist, den aufstrebenden jungen Talenten eine Basis zu schaffen. "Mit dem Bau der Neuen Säle hatten wir da plötzlich viel mehr Möglichkeiten. Und es ist wirklich so, dass mir Künstler wie die Brüder Capucon immer wieder versichern, wie wichtig es für sie war, nicht nur einmal am Beginn ihrer Karriere, sondern regelmäßig bei uns aufgetreten zu sein." Ein Engagement im Musikverein, das ist auch eine Visitenkarte.

Rechnet man die zehn Jahre dazu, die Thomas Angyan vor seiner Übersiedlung ins Intendantenbüro der Gesellschaft der Musikfreunde für die Jeunesse tätig war, konnte er mehr als vier Jahrzehnte lang die Karrieren unzähliger großer Künstler sozusagen ab ovo miterleben und mitgestalten. Dass das mit seinem Abschied vom Musikverein nun nicht zu Ende gegangen ist, garantiert sein Engagement als Vorsitzender des Kuratoriums der Ernst-von-Siemens-Musikstiftung. "Da werden immerhin jährlich 3,6 Millionen Euro ausgeschüttet. Und heuer sind es im Zuge der Coronakrise noch einmal 2,8 Millionen zusätzlich: Die kommen Musikstudenten zugute, die sonst nicht imstande wären, ihr Studium fortzusetzen - und Ensembles, die um ihre Karriere fürchten müssen, weil derzeit alle Engagements auf Eis liegen."