Alfred Dorfer inszeniert

Alfred Dorfer mag Mozart, und das sieht man Oper via ORF III. Aus dem Theater an der Wien übertrug man am Sonntagabend Mozarts "Figaro" in einer Inszenierung von Alfred Dorfer. Da hätte sich früher tout Vienne getroffen, um dabei zu sein. Jetzt lautete die Frage via SMS: "Wie war's?"

Wie war's? So lautete die Frage, die gestern Abend per SMS und Mail noch vielfach gestellt wurde. Dass Alfred Dorfer seine erste Operninszenierung via ORF III präsentieren musste, das wusste ganz Österreich. Bezeichnend. Kein Mensch hat in den vergangenen Jahrzehnten gleich nach Fallen des Vorhangs dringend wissen wollen, wie der "Presse"-Kritiker irgendeine Opernproduktion fand, wenn eine besonders glänzende Sängerbesetzung auf der Bühne stand oder ein berühmter Maestro den Dirigentenstab schwang.

Aber diesmal ging es um Alfred Dorfers "Figaro". Dabei, und das ist das Schönste daran, es war gar nicht "Dorfers Figaro"!

Es war, von einigen wenigen allzu drastisch gezeichneten Momenten vielleicht abgesehen, Mozarts "Figaro", den der berühmte Kabarettist keineswegs, wie vielleicht von manchen erwartet, kabarettistisch, sondern recht behutsam aus Lorenzo da Pontes Textvorlage heraus auf die Bühne im Theater an der Wien gebracht hat.

Oper, kein Kabarett

Schon im Vorfeld hat Dorfer gemeint, diesem Stück müsse man nichts aufpfropfen, da schlummere genügend komödiantisches Potenzial in Text und Musik, das nur genutzt sein will. Es stimmt: Wer versucht, dieses Potenzial auszuschöpfen, wird ohnehin nicht fertig, möchte er noch seine eigenen Gedanken dazu inszenieren, muss er allzu viel verdrehen oder ganz weglassen.

Opernfreunde können davon mehrere Arien singen und werden am Sonntagabend erfreut gewesen sein, wie wenig selbstverliebt Dorfer ans Werk gegangen ist. Er liebt, scheint's, eher Mozarts Musik und den frei nach Beaumarchais von Da Ponte perfekt geschnürten Intrigenknoten, dessen wiederholte Verwirr- und Versteckspiele das junge Ensemble diesmal in amüsant-hintergründiges, manchmal sogar wirklich anrührendes Theater verwandelt.

Dass die Handlung aus dem Ancien regime in die Gegenwart versetzt wurde, störte angesichts der allgemeingültigen Emotionen, die hier besungen werden, weniger, als dass das Bühnenbild von seltener Trostlosigkeit ist, sodass man gar nicht ausreichend Zeit findet, die Menschen nach ihren seelischen Nöten und Konflikten zu befragen, weil man sie ob ihrer beklagenswerten Wohnsituation schon bedauern muss. Selbst die Poesie des Garten-Akts, von der sich in der Regel die Explosion der aufgestauten Energien so wirkungsvoll abhebt, hat man wegrationalisiert: Das Finale spielt in einer Straßenbahnremise.

Kein Wunder, dass die sensible Gräfin Cristina Pasaroius, die verzeiht, aber ihre Demütigung doch nicht ertragen kann, zuletzt wütend abgeht. Das ist einer der wenigen Ausreißer, die sich Alfred Dorfer kommentierend gegenüber dem Libretto leistet.

Der Rest ist mehrheitlich von Da Ponte und wird von den großteils sehr jungen Sängern, angeführt von der quirligen Giulia Semenzato als Susanna und dem vor allem wirkungsvoll zähneknirschenden Figaro Robert Gleadows, lustvoll ausgespielt. Florian Boesch steht inmitten als grandios gezeichneter, verklemmter, daher besonders auf seine Machtposition bedachter Graf Almaviva, dessen Traum, als Regisseur die Marionetten zu führen, hie und da aufblitzt.

Die Pointen sitzen, die Intrigen hat Dorfer mit seinem von der Kabarettbühne bekannten Sinn für Timing besser geknüpft als manch professioneller Opernregisseur, sagen wir, bei den Salzburger Festspielen.

Wiener Mozart-Stil anno 2020

Dort durfte der Concentus musicus, wie diesmal an der Wien, ja auch schon Mozart-Opern begleiten. Das war noch zu Nikolaus Harnoncourts Zeiten und sorgte für Diskussionen. Was das Ensemble diesmal - über die, zugegeben, nicht sonderlich einfühlsame ORF-Tonregie - hören ließ, war nicht wirklich diskutabel: So unbehauen, nur auf rohe Akzentsetzung bedacht, wünscht man sich Mozart in Wien nicht. Dazu muss man nicht einmal die Jahrzehnte an Aufbauarbeit in Rechnung stellen, die in Sachen subtil ausbalancierter, beredter, feingliedriger Mozart-Interpretation seit Erich Kleiber im Studio und Josef Krips am Staatsopern-Pult in dieser Stadt nach 1945 geleistet wurde.

Freilich, Stefan Gottfried erweist sich am Hammerklavier als guter Musiker, der angesichts der virusbedingt nötigen Kürzungen improvisatorisch bruchlos von einer Tonart in die andere gelangt. Aber als Partner der Darsteller agiert er zu klobig, als dass Orchester und Stimmen mehrheitlich wirklich synchron blieben. Das wäre doch vermutlich auch unter Beachtung aller Originalklang-Ästhetik wünschenswert; ebenso wie manch behutsam-liebevolle Führung und Unterstützung der Sänger bei heiklen Passagen wie den Koloraturen der Grafen-Arie oder den von Patricia Nolz stilbewusst, aber nicht ganz stimmig ausgezierten Melodien der Cherubin-Canzonetta.

Apropos: Die Frage, ob ein schauspielerisch glänzendes Ensemble auch höhere Ansprüche an Phrasierung und farbliche Feinabstimmung erfüllen sollte, als bei dieser Übertragung hörbar wurden, hätte ich mir selbst vielleicht gestellt. Freunde und Leser wollten aber wissen, wie "Dorfers Figaro" war. Also Schwamm drüber: Der war gut.

LESERBRIEF

Wilhelm Sinkovicz' Besprechung der Operninszenierung von Alfred Dorfer ist ein wahres Vergnügen! Wie treffend und hintergründig er analysiert, das hätten wir nie gekonnt. Bei uns hieß es bloß: Es hat uns sehr gut gefallen, es war witzig und wir fanden die Stimmen wunderschön. Vielen Dank!

Verena Zellner, 3423 St. Andrä