Biblische Geschichten aus dem französischen Barock

Stolz ist man in Frankreich auf die eigene musikalische Tradition. Gleichwohl, begründet hat sie im ein Italiener, Giovanni Battista Lulli. Und zumindest von einem der Zeitgenossen dieses Jean Baptiste Lully weiß man, dass er wichtige Anregungen anlässlich eines Aufenthalts in Rom fand: Als Schüler Giovanni Carissimis ließ sich Marc-Antoine Charpentier von der geistlichen Spielart des Musikdramas inspirieren.
Charpentiers Name ist nach wie vor nur Kennern ein Begriff – Opernfreunde verwechseln ihn mit dem Generationen später wirkenden Schöpfer der spätromantischen Oper „Louise“, aber buchstäblich jeder Europäer kennt Marc-Antoine Charpentiers Musik; zumindest jene Melodie, mit der dessen „Te Deum“ in D-Dur anhebt. Sie wurde zur Eurovisions-Signation und erklingt als solche nach wie vor bei allen länderübergreifenden TV-Übertragungen.
Der barocken Prachtentfaltung, die hier hörbar wird, war Charpentier freilich auch mächtig. Nach dem Streit zwischen Lully und Molière wurde er zu des Dichters bevorzugtem musikalischen Partner und schuf kurz vor dessen tragisch frühem Tod die Schauspielmusik zum letzten Bühnenwerk Molières, „Der eingebildete Kranke“.
Nicht zuletzt die Repertoire-Aufforstung durch das Label Harmonia Mundi ist es zu danken, das die reichen musikalischen Schätze geborgen werden, die Charpentier hinterlassen hat. In seiner Zeit als Musikmeister des „Fräuleins von Guise“ stammen kurze geistliche Opern, die auf zwei CDs unter dem Titel „Histoires sacrées“ vorliegen. Sie verdanken sich tatsächlich dem Einfluss der frühen römischen Oratorien und bringen auf fantasievolle Weise Szenen aus dem Alten und Neuen Testament zum Klingen.
Sébastien Daucé hat mit seinem Ensemble Correspondences Spielfassungen der Partituren erarbeitet, die all die pittoreske Klangmalerei zum Klingen bringen – aus den Handschriften Charpentiers wissen wir ziemlich genau, welche Sänger die Solopartien gesungen haben und wie die Chöre dramaturgische mit- und gegeneinander zu agieren haben. Der Komponist selbst übrigens war als „Haut-Contre“, also als hoher Tenor französischer Prägung immer mit von der Partie.
Die Musiker am Hofe der Dienstgeberin waren freilich Multitalente und beherrschten alle unterschiedliche Instrumente – also sind die Interpreten vielfach frei in ihrer Entscheidung, welche Klangfarbe sie bestimmten Szenen zuordnen. So werden Judith und Holofernes, die Heilige Caecilie, Saul und Jonathan oder Maria Magdalena dank der eloquenten Darstellung durch Daucés Ensemble musikalisch höchst lebendig.
Es bedarf dann gar keines großen Aufwands, um diese tönenden Bilder auch zu Bühnenleben zu erwecken. Den beiden CDs ist eine DVD mitgegeben, die eine szenische Umsetzung der „Histoires“ durch Vincent Huguet, den Regisseur der neuen Wiener „Frau ohne Schatten“, dokumentiert. Sie ermöglichte im Theater von Schloss Versailles das Eintauchen in eine ferne Welt geistlicher Erbauung von beeindruckendem Zuschnitt.