Capriccio

Ein ,,Capriccio" im Schneckentempo

Staatsoper. Eine luxuriöse Besetzung, angeführt von Renée Fleming, disputiert in Richard Strauss' letzter Oper wieder über Ästhetisches – Christoph Eschenbach bremst.

Oper boomt. In Wien jeden falls. ,,Capriccio", das klug- subtile Spätwerk von Richard Strauss, galt bis vor kurzem als Ladenhüter. Von der Schwarzkopf über die Della Casa bis zur Janowitz haben die bedeutendsten Vertreterinnen ihres Fachs die Gräfin Madeleine gesungen, aber erst Renée Fleming ist es vorbehalten, vor wirklich vollständig gefüllten Sitzreihen im Haus am Ring die schöngeistige Comtesse zu singen, die sich nicht zwischen dem Dichter Olivier und dem Komponisten Flamand entscheiden kann.

Brisanter als zum Zeitpunkt der Uraufführung, 1942, war der Konflikt zwischen der Realität und dem ästhetischen Disput nie: Soll in der Oper das Libretto oder dessen Vertonung die Oberhand behalten? Auch spätere Generationen hatten andere Sorgen. Dennoch kehrt ,,Capriccio", die wahrhafte Caprice eines bedeutenden Komponisten, regelmäßig in die Spielpläne zurück. Den Connaisseurs gilt sie als zauberhaft-intellektueller, doch auch musikalisch herzerwärmender Zeitvertreib.

In der derzeitigen Opern-Hausse wird ,,Capriccio" aber sogar im TV gesendet – und lockt Schaulustige auch zur Live-Übertragung auf den Herbert-von-Karajan-Platz. Und die Staatsoper selbst ist restlos ausverkauft. Das freut die Habitués, die ,,Capriccio" immer geliebt haben, und macht Hoffnung auf weitere Begegnungen mit dem Werk in den kommenden Jahren. Daß sich die Besetzungsliste wie das Who's who der lyrischen Schaustellerkunst liest, trägt zum Vorab- Erfolg des Unternehmens gewiss bei.

Manche der Solisten waren schon bei der Premiere der etwas überdrehten, aber dank stimmiger Bühnenbilder überzeugenden Marelli-Inszenierung dabei, manche Debütanten fügen sich ideal in Bild und Ton. Vor allem Markus Eiche, der als Olivier mit kernig- virilem Bariton einen Gegenspieler zu Michael Schades wunderbaren Flamand zu gestalten weiß: Wort und Ton begegnen einander wirklich auf Augenhöhe und machen den so verkopft scheinenden Konflikt zum sinnfälligen Konkurrenzkampf.

Worüber diskutieren die Wolgaschlepper?

Angelika Kirchschlager als kokette Clairon verdreht nach wie vor dem von der Regie ein wenig überzeichneten Grafen von Bo Skovhus nach allen Regeln der charmanten Kunst den Kopf. Das neue Sängerpaar Iride Martinez und Benjamin Bruns vergisst auch über den komödiantischen Kapriolen nicht auf die Gesetze des Belcanto. Kurt Rydl gibt erstmals den La Roche und verleiht dem weisen großen Theatermann auch verschmitzt-hintergründige Züge. Er hat an diesem Abend beinahe am meisten unter dem einzigen echten Manko dieser ,,musikalischen Neueinstudierung" zu leiden, dem Dirigat von Christoph Eschenbach. Warum dieser exzellente Musiker, der als Klavierbegleiter bei Liederabenden der sensibelste Partner für einen Sänger sein kann, diese Tugenden als Dirigent nicht nutzt oder nicht umzumünzen weiß, bleibt ein Rätsel. Jedenfalls verschleppt er, was Strauss als ,,Konversationsstück" bezeichnet hat zur pathetischen Trauerrede.

Vielleicht findet es der eine oder andere Musikfreund interessant, wenn die Musiker Gelegenheit finden, noch jede Zweiundreißigstelfigur der reich verästelten Partitur anmutig zu ondulieren. Doch kommt in den rezitativischen Partien die Bewegung immer wieder zum Stillstand – und in manch ausgreifender Form, vor allem im Terzett nach dem von Michael Schade mit weitem Atem phrasierten Sonett und im Streit-Oktett reduziert Eschenbach das Tempo auf den Schritt der Wolgaschlepper. Und das bei Musik eines Komponisten, der als Dirigent lebenslang für flüssige Tempi plädiert hat!

Renée Fleming muss allerdings bei dieser Interpretation nicht bis zum Schlussgesang warten – sie kann mit ihrem weichen, fülligen Sopran schon zwischendrin die unscheinbarsten Bonmots zu Miniturarietten formen. Melomanen betrachten das vielleicht als Gewinn. Dafür dauert ,,Capriccio" eine gute Viertelstunde länger als gewohnt.