Crankos "Romeo" revisited

Daran hat auch Wien partizipiert: "Das deutsche Ballettwunder" titelte einst die "New York Times". Vollbracht hatte es John Cranko in Stuttgart - von wo aus seine legendäre Neudeutung von Sergej Prokofieffs "Romeo und Julia" ihren Siegeszug antrat. Auch an die Wiener Staatsoper, an der die Arbeit jahrzehntelang unter wechselnden Ballettdirektionen immer wieder ins Repertoire genommen wurde. Soeben ist eine DVD in den Handel gekommen, die den aktuellen Stand der Dinge bei Crankos einstiger Compagnie dokumentiert: "Romeo und Julia", nach wie vor in den stimmungsvollen Dekors Jürgen Roses, vorige Saison in Stuttgart in HD-Qualität aufgezeichnet.

Das ist und bleibt eine Freude: Shakespeares Liebestragödie in all ihrem Liebreiz, ihrer realistischen Brutalität, samt ihren vielen feinsinnig bis derb ausfabulierten komödiantischen Elementen - zu Prokofieffs tatsächlich lebenssprühender Musik, die in den innigen Momenten zu einem Lyrismus findet, wie ihn im 20. Jahrhundert vermutlich kein zweiter Komponist einzufangen wusste. Crankos Bewegungsrepertoire und Kombinationsgabe werden dem Dichter wie dem Komponisten gerecht.

Die kongeniale Bühnenfassung wurde daher für Generationen von Tänzern zu einem Lieblingsstück. Hier lässt sich jegliche Ballettkunstfertigkeit demonstrieren - und das Expressionspotenzial nach Herzenslust ausleben.

Apropos Generationen: Crankos legendäre Julia von anno dazumal ist auf der neuen DVD wieder zu sehen: nicht nur dank einer Dokumentation über Leben und Schaffen, sondern als Akteurin: Marcia Haydee gibt an der Seite der quirligen Elisa Badenes nun die Amme!

Damit wird diese Neuauflage eines Balletklassikers zum Sammlerstück für Tanzfreunde: Zumal sich die Stuttgarter Tänzer der Spielzeit 2017/18 nicht lumpen lassen und ihren Altvordern keine Schande machen. Man hat seinen Cranko noch in Armen und Beinen - und das Stück entfaltet in dieser grandiosen Umsetzung seinen ganzen Charme, aber auch die ganze tragische Gewalt.

Prokofieff fand ja zu einer im Grunde simplen, aber raffiniert aufgefächerten Klangsprache, die rhythmische Brillanz bot, Witz (für den Mercutio von Marti Fernandez Paixa), niederschmetternde Wucht (für Robert Robinsons Tybalt), vor allem aber eine der längsten melodischen Linien der jüngeren Musikgeschichte für die "Balkonszene" (Elisa Badenes an der Seite von David Moore). Bis heute kaum zu glauben, dass es diese - kurioserweise in Brünn uraufgeführte - Partitur anfangs schwer hatte, sich international durchzusetzen. Sie gehört zu den inspiriertesten Ballettkompositionen überhaupt, bietet nicht nur den Solisten die Chance zur vollen Entfaltung psychologischer Charakterisierungskünste, sondern auch dem Corps de ballet das reichste Betätigungsfeld. Die bunten Karnevalszenen wie der noble Festaufzug zur Ballszene runden das singuläre Tanzkaleidoskop ab.


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