Das Alban Berg Quartett

Die vollständige Berg-Tour

Gesamt-Ausgabe der Aufnahmen des legendären Wiener Ensembles in einer Box mit 62 CDs und allen Video-Aufnahmen auf DVD.

Vor 50 Jahren debütierte das prägende Kammermusikensemble. Zum Jubiläum des Alban Berg Quartetts erscheint die Gesamtedition.
Auf den Tag genau vor einem halben Jahrhundert war in der "Presse" vom "Wunder namens Alban Berg Quartett" zu lesen. Das klang nach journalistischer Übertreibung, doch in diesem Fall waren die Kommentatoren - und vor allem: Das Publikum - weltweit geneigt, die Charakterisierung jahrzehntelang fortzuschreiben.

Das Alban Berg Quartett überstand Wechsel an den mittleren Pulten klaglos und bot 38 Jahre lang Aufführungen von einer Qualität wie kaum ein zweites Ensemble. Vielen Musikfreunden galt die Kombination aus äußerster Präzision, Treue gegenüber dem Notentext und einer beseelten, oft spontan wirkenden Lust an Klang und Ausdruck als singulär.

Sämtliche jüngere Quartette, die zur Zeit oft bemerkenswerte interpretatorische Höhen erklimmen, müssen am Standard des Berg-Quartetts Maß nehmen. Die vier Wiener Hochschulprofessoren wollten 1970 ein Gegengewicht zu den hierzulande prägenden Quartetten bilden, die Orchestermusiker quasi im Nebenberuf zu Kammermusikern machen.

Das Alban Berg Quartett, das von Anbeginn Günter Pichler führte und dem Valentin Erben das profunde Cellofundament legte, war ein Profi-Ensemble nach dem Vorbild des Amadeus-Quartetts. Und brachte damit eine neue Qualität in die wienerische Musikszene, die rasch international auszustrahlen begann.

Schon zwei Jahre nach dem Debüt bestellte die Deutsche Grammophon, bei der auch "Amadeus" exklusiv unter Vertrag war, eine Aufnahme der Streichquartette Luigi Cherubinis. Und Günter Pichler sagte: Nein.

Haydn! Nicht Cherubini. Vorausblickend wusste er: Wer als Interpret erste Qualität bietet, darf keine Halbedelsteine verkaufen. Nicht, dass die "Bergs" keine Raritäten aufführen wollten. Aber Arbeit an wenig bekanntem Repertoire sollte der Moderne und ausgewählten Werken von Zeitgenossen dienen. In jedem Konzert des Alban Berg Quartetts war neben den großen Stücken der Klassik und Romantik auch Musik des 20. Jahrhunderts vertreten.

Das "Wunder", das diese vier Musiker wirkten: Das Publikum, gegen solche sogenannten Sandwich-Programme an sich allergisch, empfand unter der Obhut dieser Künstler die "modernen" Einlagen als gar nicht spröd oder unzugänglich.

Im Gegenteil, bald freute man sich, dass an den Abenden im Mozartsaal immer spannende Entdeckungsreisen im Zentrum standen; und Komponisten waren immer wieder erstaunt, wie gut ihre Schöpfungen klingen konnten.

Schönheit der Zwölftonmusik. Was Namenspatron Alban Berg wohl gesagt hätte, wenn er das Adagio seiner "Lyrischen Suite" so verzehrend-schön und leidenschaftlich hören hätte können? Meister wie Luciano Berio oder Witold Lutoslawski waren jedenfalls begeistert und bestätigten damit den besonderen Rang dieses Quartetts. Raritäten durften es also sein - aber von Zeitgenossen. In diesem Sinne hob die Aufnahmetätigkeit des Alban Berg Quartetts bewusst mit einem Doppelschlag an: Man spielte eine Haydn-Platte und eine mit den beiden Streichquartetten des Namenspatrons Berg ein.

Dieses Alleinstellungsmerkmal blieb dem Berg-Quartett erhalten. Und die anfängliche Skepsis der Plattenfirmen - von Teldec wechselte man bald zu EMI - verwandelte sich ins pure Editorenglück: Zum 50. Geburtstag bringt Warner nun sämtliche Aufnahmen des Alban Berg Quartetts auf 62 CDs und acht DVDs in den Handel, das dürfte in Sachen Kammermusik so einzigartig sein wie die Qualität des Gebotenen.

Der Sammler bekommt damit nicht nur herausragende Klassikereinspielungen (die Berg-, die großen Mozart-, die Beethoven- und Brahms-Quartette gleich mehrmals), sondern vor allem "moderne", "neue", "zeitgenössische" Musik in bestmöglicher Darstellung. Der Bogen reicht von Schwertsik, Rihm und Einem bis Haubenstock-Ramati, umfasst also buchstäblich das gesamte, kaum überschaubare stilistische Spektrum.
Die legendäre Walzerplatte kann man nun auch wieder auflegen, die irgendwie den Schlüssel zu allem birgt. Ausgefeilte Technik und analytische Kunst dienen dazu, eine Spieltradition auf die Spitze zu treiben, die solchen Tugenden scheinbar entgegensteht. Die vier spielen im tiefsten Sinne "wienerisch". Und das perfekt. Paradox? Ein "Wunder" halt.