Detlev Glanert "Oceane"

Jubelstürme erntete die Uraufführung von Detlev Glanerts Oper „Oceane“ in Berlin. Das Publikum liebte das Stück. Dergleichen passiert nicht alle Tage – und auch wenn mancher Rezensent einwandte, die Musik sei nicht eben avantgardistisch zu nennen, sondern eher in – stilistisch postmodern-bunt verbrämten – Regionen der Zwischenkriegsmoderne um Meister wie Schreker und Korngold angesiedelt: An diesem Muster versuchen sich derzeit viele Komponisten. Aber Glanert kann es.
Der Erfolg ist auch seinem Librettisten zu danken: Hans-Ulrich Treichel, schon für Altmeister Hans Werner Henze aktiv, hat ein nachgelassenes Novellenfragment Theodor Fontanes dramaturgisch raffiniert und sprachlich suggestiv zu einem sogenannten „Sommerstück“ verdichtet, das in Glanerts Vertonung zum spannenden Musiktheater-Thriller wurde.

Oceane heißt die neue Undine

Eine Wassernixe, wieder einmal, verdreht den Männern auf der Bühne den Kopf, Oceane heißt die neue Undine, kündigt sich in wortlosen Melismen am Beginn des Spiels an, wie sie zuletzt wieder verschwindet – im Meer, wie zu vermuten ist. Ganz genau wird all das nicht definiert. Oceane bleibt eine rätselhaft unirdische, also faszinierende Gestalt. Wir begegnen ihr in einem Strandhotel, in dem ein Fest gefeiert wird, auf dem das von vielen neugierig, vom eifernden Pastor (Albert Pesendorfer) verstört-skeptisch beäugte Frauenwesen beim Tanz in ein Delirium verfällt, das die Ballveranstaltung sprengt.
Die Liebesgeschichte, die sich daraufhin entspinnt, mündet nach einem rätselhaften Todesfall in ein Verlobungsfest, bei dem die märchenhaft stilisierte Fremdenfeindlichkeit eskaliert. Oceane entschwebt wieder, und man ist so klug als wie zuvor, aber um einige wirklich fesselnde musikalisch-dramatische Erlebnisse reicher. Auch die magische Kussszene, bei Rusalken obligatorisch, fehlt natürlich nicht.

Große Berliner Ensembleleistung

Die Premiere der Uraufführungsproduktion Robert Carsens im April 2019 wurde live mitgeschnitten – und die CD-Aufnahme, die soeben in den Handel gekommen ist, genügt völlig, um sozusagen als Hörspielversion das Publikum in Bann zu schlagen. Die Leistung der Uraufführungsbesetzung war enorm, konzentriert, energetisch, angeführt von der fabelhaften Titelheldin Maria Bengtsson, die – immer wieder angefeuert von fanatischen Chor-Einwürfen und dem von Donald Runnicles zu intensiven Klanggesten angestachelten Orchester der Deutschen Oper – als verführerische Sirene wie in der ekstatischen Selbstbespiegelung an die Grenzen geht; edel strömender Schöngesang hat hier ebenso Platz wie bis zum Schrei angespannte Vokalgeste, wenn etwa Glanert die Sopranstimme in der ekstatischen Finalszene des ersten Teils bis zum hohen Cis führt.
Seine Musik ist fast durchwegs tonal grundiert – und vom ersten Ton an mit höchster Delikatesse instrumentiert. Das tobt, glitzert und irisiert – und zündet dank rhythmischer Akzentuierung, nicht nur in den Tanzszenen des zweiten Bilds, in denen Polka und Galopp fröhliche Urständ feiern dürfen.


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