Die Heilige Messe

Äußerst herbe Klänge für den lieben Gott

Eine neue CD vereint Werke von Anton Bruckner und Igor Strawinsky. Diese beiden Komponisten haben scheinbar wenig miteinander gemein - und doch klingt hier manches rätselhaft verwandt.

Über Anton Bruckner hat sich Igor Strawinsky recht despektierlich geäußert, befand er doch, dieser hätte neun Mal dieselbe Symphonie komponiert. Strawinsky war es freilich gewohnt, von Stück zu Stück seinen Stil zu wechseln. "Petruschka" klang völlig anders als der "Feuervogel" - und beide schienen wenig mit dem unmittelbar folgenden "Sacre du printemps" zu tun zu haben.

Das Geniale daran: Ob spätromantisch, archaisch-modernistisch, neoklassizistisch oder zwölftönig: Welche Maske er tragen mochte, man konnte Strawinsky erkennen.

Auch der Messe für Chor und Blasinstrumente von 1948, unmittelbar vor Beginn der Arbeit an der Oper "The Rake's Progress" abgeschlossen, hört man den Autor in den ersten Takten schon an. Obwohl sich Strawinsky zu Zeiten als gläubiger orthodoxer Christ bekannt hatte, klingt seine Messe distanziert, kühl, klar disponiert, wie auf dem Reißbrett entworfen.

Zwar gab ein Antiquariatsfund von Mozart-Messen den Ausschlag zur Komposition, doch tönte es des Öfteren mehr nach mittelalterlicher Polyphonie, hie und da nach herber Avantgarde - und so gut wie nie nach Wiener Klassik. Die Mischung aus Vokal- und Instrumentallinien erzeugt dank des eigenwilligen Instrumentariums oft betörende, immer originelle Effekte.

Das Zusammenwirken von Sängern und Bläsern im Gottesdienst hat übrigens eine lange Tradition, an die auch Anton Bruckner bei der zweiten seiner drei Messen anknüpfte. Sie war für die Einweihung des ersten Bauabschnitts des neuen Linzer Doms gedacht, kam aber - weil dessen Fertigstellung sich verzögerte - erst zur Uraufführung, als der Komponist bereits nach Wien übersiedelt war.

Im Fall der Messen hätte sogar Strawinsky zugeben müssen, dass die drei Vertonungen des Ordinariums, die Bruckner vorgelegt hat, einander gar nicht ähneln. Die e-Moll-Messe unterscheidet sich von den Schwesterwerken in d-Moll und f-Moll schon durch die karge Besetzung und durch den vergleichsweise spröden Klangstil, der - wie später ganz ähnlich bei Strawinsky - auf die Hochzeit der niederländischen Vokalpolyphonie zurückzugreifen scheint.

Glasklare Intonation heikler Harmonik

Zwischendurch aber herrscht jener harmonische Reichtum, den der Wagner-Verehrer Bruckner schon kultiviert hatte, und der ihn bald als Symphoniker zu einem der progressivsten Meister seiner Zeit stempeln sollte.

Der Rundfunkchor und das Rundfunkorchester Berlin unter Gijs Leenaars erbringen auf dieser Neuaufnahme eine meisterliche Leistung, blitzsauber in der Intonation und durchaus stimmungsvoll in den Passagen, die - bei beiden Komponisten - von inniger Versenkung in den Text künden.