Die musikalische Moderne

Entschlossen nach vor und zurück 5. Jänner 2020

Von Schönberg bis Gershwin: Die musikalische Moderne war eine merkwürdige Mixtur.


Seit den Jahren um den Ersten Weltkrieg hatte die musikalische Moderne ihre Klauen gewetzt, in den 1920er-Jahren trieb sie erstaunliche Blüten - gedüngt mit einer Mixtur aus unbedingtem Fortschrittsglauben und Reaktion. Die Zeit war unter anderem geprägt durch Arnold Schönbergs Proklamation der neuen Kompositionsmethode "mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen". Diese sollte für eine oder zwei Generationen von Komponisten, die nach 1945 auf den Plan traten, der Ausgangspunkt für Experimente werden, die sich unter dem Rubrum "Serielle Musik" zum Schreckenswort für Konzertveranstalter und Publikum entwickelten - was die Kluft zwischen Produzierenden und Konsumierenden unüberbrückbar werden ließ. Dabei hatte sich Schönberg vor allem um eine Ordnung im sogenannten atonalen Klangraum bemüht, um, so viel zur Reaktion, klassische Formen wieder zu beleben. Er nutzte sein System nicht, um in neue Räume vorzudringen, sondern um wieder Sonaten- und Variationssätze zu komponieren.

Sein Antipode Strawinsky ging, nachdem er 1913 mit den stampfenden Rhythmen seines "Sacre du printemps" die später oft so genannte "musikalische Atombombe" gezündet hatte, in den Zwanzigerjahren den direkten Weg in Richtung Klassizismus, nahm sich barocke Concerti zum Vorbild. Seinem Ballett "Pulcinella" galt im Mai 1920 vielleicht die erste wichtige Uraufführung der Zwanzigerjahre - Diaghilevs Ballets russes tanzten in Bühnenbildern von Picasso.

Gershwins Hybrid-Genie. Verschmelzungen ganz anderer Art wagte ein George Gershwin. Die Trennung von sogenannter E- und sogenannter U-Musik war angesichts der vom Publikum abgelehnten radikalen Moderne längst vollzogen; aber manchen Jazzmeister plagte die Sehnsucht, auch von der Klassikszene anerkannt zu werden: 1924 präsentierte Gershwin seine "Rhapsody in blue" - aber es sollte bis nach dem Zweiten Weltkrieg dauern, bis solche Hybrid-Geniewürfe auch als solche erkannt werden sollten.

Der Jazz fesselte freilich manchen führenden Komponisten der "ernsten" Fraktion: Hindemith definierte 1922 die barocke Suite neu, indem er statt Allemanden, Gavotten oder Sarabanden einen Shimmy und einen Ragtime paraphrasierte und durch schräge Harmonien in seine Avantgarde-Welt herübertanzen ließ. Ernst Krenek errang weltweites Aufsehen, als er in seinem "Jonny spielt auf" einen Jazzgeiger zum Opernhelden werden ließ; noch dazu einen Farbigen, was alsbald auch rassistische Proteste hervorrief: Als diese anlässlich einer "Jonny"-Aufführung an der Wiener Staatsoper auf der Ringstraße losbrachen, schrieb man freilich bereits die 30er-Jahre. Da hatte die Musik schon nach der politischen Pfeife zu tanzen, die auch stilistisch simplere Vorgaben machte.

Dergleichen hatte die Welt freilich schon gesehen - während der im Westen noch wilden 20er begann das kommunistische Regime in Russland bereits unter dem Banner der Volksnähe, gegen die (bis dahin auch in Russland reiche) avantgardistische Kulturszene mobil zu machen.