Elektra (Goerke - Bychkov)

Sturmwarnung für die Staatsoper: Diese Elektra überwältigt

Staatsoper. Die letzte Aufführungsserie der Kohlenkeller-Inszenierung von Richard Strauss' "Elektra" wartet mit bemerkenswerten Rollendebüts auf: Michael Volle als Orest, Simone Schneider als Chrysothemis - und in der Titelpartie Christine Goerke, die erst im Finale zur vollen Form findet.

8. Februar 2020

Orkanstärke im Orchester und hernach beim Applaus: Das dürfte der übliche Opernsturm-Befund für jede bessere Aufführung der "Elektra" sein. Auch bei der voraussichtlich letzten Aufführungsserie der Kohlenkeller-Inszenierung Uwe Eric Laufenbergs erreichte man diesbezüglich wieder Höchstmarken. Wenn auch der Umsicht des Dirigenten zu danken ist, dass zwischendurch immer wieder vollkommene Stille zu herrschen schien - was dazu führte, dass diesmal durchgehend eine dramatische Hochspannung herrschte.

Für Semyon Bychkov schließt sich, wie er im Gespräch bekannte, ein Kreis, feierte er doch mit diesem Werk einst sein Staatsoperndebüt. Wegen seiner vielen Verpflichtungen in den kommenden Jahren wird er hier nicht so bald wieder erscheinen. Er ist ein Mann, der das Wiener Orchester sicher und bestimmt zu führen versteht, den Musikern aber offenbar das Gefühl gibt, sich frei entfalten zu können. Das führt an einem solchen Abend spätestens ab der Erkennungsszene zu einem regelrechten Flow. Die Klänge strömen, zuletzt von euphorischen Tanzrhythmen vorangetrieben, mehr oder weniger taktstrichlos dahin, reißen mit - auch die Sänger auf der Bühne.

Christine Goerke fand bei ihrem Hausdebüt in der Titelpartie im Finale zur vollen Form. Anfangs schien sie noch mit der hohen Orchesterstimmung auf Kriegsfuß, artikulierte auch den Text recht undeutlich. Doch bald entfaltete sie ihren dunkel timbrierten, aber zu immenser Kraftentfaltung befähigten Sopran ungehindert und mit der Leuchtkraft, die es braucht, um die philharmonische Exuberanz strahlend zu durchdringen. Eine Leuchtkraft, über die Simone Schneiders Stimme vom ersten Moment an gebietet: Ihre Chrysothemis tönt tatsächlich geschwisterlich satt, aber um jenes Maß heller, das es ihr gestattet, die emanzipatorischen Visionen glaubwürdig und anrührend zum Klingen zu bringen.

Ein veritabler Opernthriller

Goerkes Elektra mobilisiert ihre düster-gefährlichen Energien am Entschiedensten, wenn es darum geht, der Rabenmutter Klytämnestra Paroli zu bieten. Das macht diesmal besonderen Effekt, denn mit Waltraud Meier steht ihr eine der machtvollsten Bühnenpersönlichkeiten unserer Zeit gegenüber - oder besser sitzt, denn sie lässt sich im Rollstuhl führen. Da verknotet sich dann präzise vokale, sprachliche Charakterisierungskunst mit den kleinteiligen instrumentalen Kommentaren aus dem Orchester zum veritablen Opernthriller. In wirkungsvollem Kontrast bereiten dann die Tuben und Posaunen mit unirdischen Akkordsäulen den Auftritt des Rächer-Erlösers vor: Michael Volle (noch ein bemerkenswertes Rollendebüt!) ist imstande, auch dieser Herausforderung äußerster Klangschönheit mit seinem Bariton zu begegnen. Einen edler timbrierten Orest wird man heute vermutlich nirgendwo finden.

Und auch keinen prägnanteren Aegisth als Norbert Ernst, der die finale Katastrophe mit der rechten ätzenden Schärfe einleitet, ohne in die falsche Karikaturhaftigkeit mancher Interpreten dieser Partie zu verfallen.

Der Rest ist dann Überwältigung - völlig ungestört, denn auch die kleinen Partien sind exzellent besetzt.