HK Gruber

Nali Grubers wahre „Geschichten aus dem Wienerwald"

Einer der führenden Komponisten unserer Zeit, ein rechter Wiener dazu, ist soeben 70 geworden. Er weiß seit Langem hintergründig in allen Tonarten zu fabulieren.

Die „Geschichten aus dem Wiener Wald" erzählt er gerade: Heinz Karl Grubers neue Oper soll bei den Bregenzer Festspielen 2014 uraufgeführt werden – man wüsste keinen Besseren, um Hinter- und Abgründe des nur sprichwörtlich ,,goldenen" Wiener Herzens zu durchleuchten. Schon daß das Publikum ihn – wie die Freunde – Nali nennt, ist eine wienerische Form von Vereinnahmung bei gleichzeitiger Verhüllung des wahren Kerns. Nali sagt sich leicht anstelle des förmlichen Doppelnamens, und schon gar statt des von Gruber selbst gewählten,,HK", das in den Programmheften in der Regel zu lesen ist. Die Wahrheit liegt nicht in der imaginären Mitte zwischen dem kuscheligen Kosenamen und der kühl-zeichenhaften Buchstabenkombination. Sie ergründet sich eher aus der kontrapunktischen Konfrontation beider: Nali hoch HK oder HK dividiert durch Nali – durch die Verästelungen der daraus resultierenden ,,Rechenprozesse" schimmert der echte Heinz Karl vielleicht durch. Der, der über die vermeintliche Simplizität eines doch hochkomplexen Klangbilds bei Kurt Weill referiert.

Oder in nimmermüdem Arbeitseifer über einer Passage im neuesten Opus brütet: Hinter dem scheinbar so jovialen Künstler steckt ein Perfektionist. Lieber lässt er eine Premiere platzen, als Unfertiges aus der Hand zu geben; man könnte tagelang auf ihn einreden und ihm versichern, daß keiner außer ihm selbst die kleinen Unebenheiten noch wahrnehmen könnte. Sein kritisches Vergrößerungsglas macht ihm das Leben schwer. Aber die Skrupel sind etwas vom HK im Nali. Ohne sie wäre er nicht geworden, was er ist: ein führender Kopf im heutigen Kunstmusikbetrieb – avantgardistisch insofern, als er schon zur Hochzeit der modernsten Modernemode deren allein selig machende Serialitäts-Happenings anzuzweifeln wagte. Den in alle Richtungen wuchernden Zähl- und Rechenkunststücken der Zwölfton-Nachwehen wagte er die Kunst der Beatles entgegenzuhalten. Daß ihm auch noch mit einem Stück wie dem ,,Pandämonium" nach H. C. Artmanns ,,Frankenstein!!" Ende der 1970er der Durchbruch gelang, darf man beinah schon als Verhängnis betrachten.

Dann war zu viel Nali in der öffentlichen Rezeption, zu wenig HK, der auch sehr konstruktiv am ,,Frankenstein" gewerkt hat und in Kompositionen wie ,,Nebelsteinmusik" oder dem Trompetenkonzert ,,Busking" für Hakan Hardenberger sein Inkognito williger lüftet: Auch hinter scheinbar mühelos Konsumierbarem steckt ein konstruktiver, formenfindender Geist. Der sich auch als Interpret stets für Kollegen aller zeitgenössischen Farben einsetzte und dafür, Meister vom Format Kurt Weills oder Hanns Eislers nicht nur als Agitprop-Größen, sondern in ihrer schöpferischen Vielfalt wahrzunehmen – und im gleichen Atemzug auch die ,,Dreigroschenoper" mit Nina Hagen und Max Raabe tauglich für die Überfahrt ins 21. Jahrhundert machte.

Die einzige Versöhnung, die dem friedvollen Kämpfer nicht gelang, war die seiner beiden so unterschiedlichen Mentoren Friedrich Cerha und Gottfried von Einem. Er betreibt sie ideell weiter, auf dem Notenpapier. Womit er der Hörerschaft ein Geschenk macht, das diese irgendwann einmal vielleicht zu würdigen wissen wird. Doppelbödig, erst peu à peu zu enträtseln selbst das – wie auch anders?

So ist er, HK/Nali, auch mit 70.