Liederabende

Wer die Programme internationaler Gastorchester studiert, muss den Eindruck gewinnen, das Publikum verlange fortwährend dieselbe Musik. Neugierige, auf in die Liederabende!

Hört auf mit Schostakowitsch - Singt Lieder von Tomaschek!

Neugier ist eine unter Musikfreunden offenbar nicht besonders ausgeprägte Tugend. Wer jetzt widerspricht, sollte einen Brief an die Konzertveranstalter schreiben, der die Frage aufwirft, warum man sich bei sämtlichen Orchestern, die in der Welt herumreisen, beinahe immer nur zwischen Mahler- und Schostakowitsch-Symphonien entscheiden kann. Es gibt aber noch Oasen. Nebst Kammermusik- Vereinigungen sind es immer wieder auch Sänger, die zwischen endlosen ,,Winterreisen" kleine Abstecher wagen.

So konfrontierte beispielsweise gestern Abend, worüber im Detail noch zu berichten sein wird, Staatsopern- Ensemblemitglied Norbert Ernst im Gläsernen Saal Lieder von Hugo Wolf mit solchen von Franz Schreker, Wilhelm Kienzl und Ale xander von Zemlinsky – demonstrierte also, wie sich die Kunst der intimen Textvertonung in die Bereiche der damals sogenannten ,,Moderne" differenzierte – und wie sich über 100 Jahre wiederum unser Wahrnehmungsvermögen für das, was in der Musik ,,modern" ist, verzweigt hat.

Da klingt denn doch vieles noch so, das wir's heute guten Gewissens unter die Rubrik ,,Romantik" reihen. Wo diese Romantik beginnt, das thematisiert wiederum Michael Schade in seinem Doppelliederabend im Brahmssaal am 10. bzw. 12. April.

Assistiert von Malcolm Martineau setzt der Tenor einen Block von Schubert-Liedern vor der Pause einem um Beethovens ,,Ferne Geliebte" arrangierten, spannenden ersten Programmteil entgegen. Der enthält nebst weiteren, selten zu hörenden Beethoven-Liedern auch Kompositionen von Carl Maria von Weber und Wenzel Tomaschek.

Letzteren, Gründer der Prager Musikschule, sollte die Musikwelt tatsächlich wiederentdecken – immerhin hat nicht nur Goethe seine Kompositionen geschätzt, sondern auch Beethoven, der nur vier Jahre älter war und den Tomaschek um eine gute Generation überlebte. Und Weber? Der ,,Freischütz"-Schöpfer ist doch wohl der pure Romantiker! Oder nicht? Wer in Webers Aufzeichnungen blättert, findet Passagen, die den Meister der ,,Wolfsschluchtszene" ratlos sehen angesichts von Beethovens Siebenter. Der Kollege sei ,,reif fürs Irrenhaus", heißt es da.

Die rasanten Tänze des Beethoven'schen Finalsatzes waren in ihrer Kühnheit für Weber einfach nicht mehr ,,klassisch" zu nennen – waren sie ,,romantisch" oder gar ,,modern"? Wer eingangs widersprochen hat, dürfte sich demnächst im Brahmssaal wiederfinden . . .

Ergänzung, 12. April 2013:

Entdeckerfreuden im gemeinsamen Zyklus von Musikverein und Staatsoper: Norbert Ernst, als David in den ,,Meistersingern" beispielsweise längst Extraklasse, stellte sich als Liedsänger vor. Ausgehend von Hugo Wolf untersuchte er, unterstützt von Kritin Okerlund, die vokalen Kleinformen der angehenden ,,Moderne" und förderte manch recht Ungelenkes von Schreker, prächtige, wohlaustarierte Romantik von Wilhelm Kienzl und hinreißend in freiere harmonische Gefilde aufbrechende Gesänge Alexander Zemlinskys zutage.

Mittendrin auch eine Novität auf chinesische Texte aus der Feder des Oberösterreichers Michael Salamon – der die meisten abendländischen Assoziationen hinter sich lässt und schwebende Harmonien erfindet, die hie und da in einem Klangnirvana zu enden scheinen. Ernsts hoch entwickelte Kunst der vokalen Textausdeutung bewährte sich in allen Fällen mustergültig – daß die Qualität von Wolfs Mörike-Gesängen den Rest des Programms turmhoch überragte, ließ sich auch durch prägnanteste Artikulation nicht übertünchen. Der Künstler empfiehlt sich mit diesem Debüt jedenfalls fürs große Lied-Abonnement.