Michael Schade

Michael Schade als Florestan: ,,Abfahrtslauf?"

Im Gespräch. Ein lyrischer Tenor auf dem Weg ins Heldenfach? Wer mit Nikolaus Harnoncourt arbeitet, weiß, daß Beethoven Zeitgenosse Schuberts, nicht Wagners war.

Nikolaus Harnoncourt dirigiert ,,Fidelio" im Theater an der Wien: Mit Juliane Banse als Leonore und Michael Schade als Florestan, zwei für ihre Erfolge im lyrischen Repertoire berühmte Künstler, das ist, was man landläufig eine riskante Besetzung nennt: ,,Alle sagen mir jetzt: Halt die Ohren steif", bringt Michael Schade seine Begegnungen während der Probenarbeit auf den Punkt: ,,Es ist ein bisschen so, als würden alle vor dem Fernseher sitzen und warten, wie das ist, wenn der Schade jetzt die Streif hinunterfährt. Das Spektakel ist auf jeden Fall perfekt, denn entweder liegt der nachher halb tot am Boden und wird mit dem Hubschrauber weggebracht, oder alle sagen: bravo!"

Der Gedanke an ein sportliches Risiko sei in diesem Fall freilich falsch am Platz: ,,Ich habe mich selten so lange auf eine Rolle vorbereitet. Schon vorigen Sommer habe ich mit Harnoncourt in St. Georgen daran gearbeitet. Daher denke ich jetzt nicht permanent an die Streif. Ich mache mir viel eher Gedanken über die Frage, wie viel diese Musik mit Schubert zu tun hat: In des Lebens Frühlingstagen, der Anfang der Arie, das ist ja doch wie ein Schubert-Lied." Wahrscheinlich denken die Musikfreunde, durch die Aufführungspraxis irritiert, viel zu sehr an Wagner, weil die berühmtesten Florestane – und auch die Leonoren – auch Siegmund, Lohengrin beziehungsweise Brünnhilde gesungen haben.

„Doch ich denke natürlich an Aufführungen, bei denen der Florestan von Tenören wie Julius Patzak oder Anton Dermota gesungen wurde", etwa bei der legendären Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper 1955, sagt Schade. Und: ,,Die Rolle kommt ja tatsächlich aus der Höhe und ist deshalb von Heldentenören ziemlich gefürchtet."

Manche Verwirrung könnte auch entstehen, weil der Maestro bei den Proben ungewöhnliche Interpretationsansätze suggeriert: ,,,O namenlose Freude'", sagt Schade, ,,das darf ich nicht forte singen, Harnoncourt meinte gleich beim ersten Mal, der Florestan sei ja in diesem Moment noch viel zu erschöpft, um da aufzutrumpfen. Oder das ,Ein Mörder, ein Mörder steht vor mir' – das fühlt sich zwar toll an, wenn man als Sänger da Vollgas geben kann, aber tatsächlich steht piano in der Partitur."

Debüts am liebsten mit Harnoncourt

Dergleichen musikalische Regieanweisungen lieben die Sänger. ,,Schon Cecilia Bartoli hat mir vor vielen Jahren gesagt, sie studiert neue Rollen am liebsten mit Harnoncourt ein." Jedenfalls ist es mit dem Jacquino, der ,,kleinen" Tenorpartie im ,,Fidelio" für Michael Schade nun vorbei. ,,Das war es längst", sagt er, ,,ich habe den Jacquino an die hundertmal gesungen. Auch bei meinem Met-Debüt, da war Helen Donath meine Marzelline. Ihr Sohn war älter als ich damals. Es war dann schon so, daß manche gesagt haben: Der Schade, das ist der, der immer den Jacquino singt." Nichts hätte der Deutschkanadier damals darauf verwettet, daß aus ihm einst ein Florestan werden könnte.

"Obwohl es eine schöne Geschichte gibt: Gerard Mortier hat mir nach meinem Salzburger Einstand, 1994, ein Vorsingen bei Sir Georg Solti vermittelt. Das war, wie man es sich in einem Albtraum ausmalt. Ich sah immer nur die Glatze von Solti, und wie er permanent den Kopf schüttelte. Am Ende sagte er: Sie müssen auf Ihre Stimme gut aufpassen, aber Sie werden Florestan. Da dachte ich, jetzt ist etwas schiefgelaufen. Ich hatte gerade Tamino an der Staatsoper gesungen und die Matthäuspassion unter Rilling..." Tatsächlich kam ein halbes Jahr später das Angebot: ,,Sir Georg Solti freut sich, Herrn Michael Schade als Jacquino zu engagieren. Das kam nur nicht zustande, weil ich damals für die fragliche Periode schon ein Angebot von Muti an der Scala hatte."

Nun erfüllt sich Soltis Prophezeiung. Der Kreis schließt sich. Als Jacquino hat sich Schade – nach Studien bei dem bedeutenden kanadischen Tenor Leopold Simoneau – die ersten Bühnensporen verdient; in der ,,Fidelio"-Inszenierung eines damals völlig unbekannten jungen Regisseurs namens Robert Carsen. Was Schade von Simoneau gelernt hat, kommt ihm übrigens bis heute zugute: ,,Ich habe mit ihm an ,Così fan tutte' gearbeitet, und er hat immer gesagt: ,Sing gezügelt, es muss elegant klingen, leg nicht so viel Drama hinein. Stimmschönheit ist wichtig.'" Auch bei Florestan, versteht sich.