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Alte, unnennbare Tage: Wilhelm Kempff spielt

Deutscher Stil? So etwas hat es gegeben! Wilhelm Kempff war einer der großen Vertreter dieses Liszt'schen Erbes, das mit den Zeitläuften in Misskredit geriet. Was da verloren ging, kann man am Livemitschnitt eines Recitals nachhören, das Kempff 1962 in Schwetzingen gab und an dessen Ende tief lotende, ausdrucksstarke, doch formal gebändigte Schubert-Interpretationen stehen. Kempff beginnt mit Piècen von Rameau, Couperin und Händel – manchmal scheint ein Cembalo zu erklingen – und doch ist das Spiel weit entfernt von manieristischem ,,Als-ob", repräsentiert die weit gefächerte Klangpalette, die für Kempff (und die Schule, der er entstammt) charakteristisch ist. Da schwingt feiner Humor mit – vor allem herrschen Geschmack und Dezenz trotz reicher Koloristik. Daß der Pianist von den Beethoven- Sonaten die notorisch undankbarste, Op. 54, ausgesucht hat, spricht Bände: Auch hier lauscht man ihm wie ein Kind dem Märchenonkel. Nichts in der Welt könnte spannender sein als das, was er eben gerade fabuliert. Nicht einmal Op. 57!

Kempff in Schwetzingen, 1962. Händel, Beethoven, Schubert etc. Haenssler Classic 93.720