Musik und neue Medien

Zwischentöne Die Tür zur Kultur ist geöffnet, aber der Durchgang blockiert 13. Jänner 2020

Mehr und mehr Klassik-Ereignisse kann man sich durch Streaming-Angebote ins Wohnzimmer holen. Aber das ist erst der Anfang.

Die Dinge sind völlig unausgereift. In gewisser Hinsicht funktionieren sie allerdings schon sehr, sehr gut: Die Technik ist so weit, dass sie uns Opernaufführungen und symphonische Konzerte via Livestream ins Haus liefern kann - wer über eine entsprechende Gerätschaft verfügt, um Video-Empfang mit hochkarätiger Tonwiedergabe zu koppeln, der kann sich die Berliner Philharmonie, die Wiener Staatsoper oder - wie am vergangenen Wochenende - das Wiener Konzerthaus ins Wohnzimmer holen.

Berlins Philharmoniker und unsere Staatsoper haben dafür perfekte Lösungen gefunden und sind imstande, ihre Produktionen in HD-Qualität ins Netz zu stellen. Die Berliner heben es sogar geschafft, dank großzügiger privater und staatlicher Unterstützung ihr Video-Archiv auf Dauer online zur Verfügung zu halten.

Damit sind wir in ein neues Zeitalter der Versorgung mit hochwertigen Klassik-Inhalten eingetreten. Freilich, jetzt kommen wir zur Unausgereiftheit, die Trends unserer Epoche streben in entgegengesetzte Richtungen. Hier der Hunger nach Information und nach Bereitstellung möglichst umfassender Archive. Da die immer weiter angezogenen Schrauben des Urheberrechts, das in dieser Hinsicht bald so viele Einschränkungen festgeschrieben haben wird, dass sich die gerade geöffneten Archive bald wieder in Hochsicherheitstrakte verwandelt haben werden.

Nicht von ungefähr hat der neue Chef von Ö1 jüngst über die Sehnsucht der Radiohörer nach Abhörmöglichkeiten für weiter als sieben Tage zurückliegende Sendungen referiert. Man kann ihm bei diesbezüglichen Vorstößen nur sehr viel Glück wünschen.

Zugriffsmöglichkeiten, wie sie die Berliner Philharmoniker erreicht haben, wären für das Rundfunkarchiv so wünschenswert wie für die archivierten Livestreams aus unseren Opern- und Konzerthäusern. Dagegen arbeitet nicht nur die Urheberrechtslobby. Auch das mediale Quotendenken bremst.

Es konfrontiert uns notorisch mit Zugriffszahlen, deren Höhe nichts für oder gegen die prinzipielle Notwendigkeit zu sagen hat, Hochkultur so breit wie möglich verfügbar zu machen. Europäisches Selbstverständnis sollte sich nicht durch Ziffern und Zahlen rechtfertigen müssen.

Dass etwa das Neujahrskonzert unter Andris Nelsons eine etwas höhere Einschaltquote erreicht hat als jenes unter Christian Thielemann, sagt zur Sache so wenig aus wie zur begründbaren Ansicht, das Nelsons-Konzert sei nicht annähernd so qualitätvoll gewesen. Die Öffentlichkeit muss beide hören und sehen. Schon um solche Diskussionen und damit das Kulturbewusstsein zu animieren.