Oper auf Deutsch

Sie hat ja doch "bunte Flügel", die Liebe

Eine CD-Edition erinnert an die klassischen Querschnitt-Produktionen des frühen LP-Zeitalters und lässt in viel gespielten Werken einige Zwischentöne hören, die bei Aufführungen in Originalsprache verloren gehen.

Dieser Tage hätte die Volksoper Verdis "Rigoletto" auf dem Programm. In italienischer Sprache. Wie sonst, werden jüngere Opernfreunde fragen. Vergessen die Parole, die einst Eberhard Waechter ausgab: Möge die Staatsoper weiterhin die Originalsprachen pflegen = er ließ etwa die Da-Ponte-Opern auf Deutsch singen. Auch um Menschen, die des Italienischen nicht mächtig waren, lieber mit einer komödiantischen "Hochzeit des Figaro" zu unterhalten als mit einer - wenn auch vielleicht fein musikalisch abgetönten - "Nozze di Figaro" zu langweilen, bei der sie kein Wort verstehen. (Ich weiß, es gibt die Tablets zum Mitlesen, aber dazu später . . .)

Nun erschien kurz vor der Theatersperre, der auch der besagte "Rigoletto" zum Opfer fiel, eine kleine Schachtel mit 15 CDs unter dem Titel "Oper auf Deutsch": Querschnitte, wie sie um 1960 herum produziert wurden, damit die Musik jeweils auf einer Langspielplatte Platz fand.

Eine der größten Tenor-Leistungen

Nun wird es niemanden erstaunen, dass Lortzings "Zar und Zimmermann" und d'Alberts "Tiefland" auf Deutsch gesungen werden. Die exzellenten Aufnahmen verlocken allerdings zu einem letzten Verweis auf das diesbezüglich verwaiste Volksopern-Repertoire. Wer Sänger wie Dietrich Fischer-Dieskau und Fritz Wunderlich Lortzing singen hört, wird sogleich bedauern, dass die deutsche Spieloper gar keinen Platz mehr im Wiener Repertoire zu haben scheint, während drei Häuser "Salome" auf die Spielpläne gesetzt haben - obwohl nur eines davon das Orchester ausreichend besetzen kann.

Wie auch immer, Fritz Wunderlich ist einer der bedeutendsten Protagonisten des Querschnitt-Projekts. Man hört die Traumstimme hier etwa auch an der Seite von Hilde Güden in Verdis "Traviata"; und nicht zuletzt nebst Evelyn Lear, Brigitte Fassbaender, Fischer-Dieskau und Martti Talvela in Tschaikowskys "Pique Dame" und "Eugen Onegin"; wobei Wunderlichs Lenski-Arie wohl nicht nur meiner Meinung nach zu den größten Tenor-Leistungen der Aufnahmegeschichte gehört, dank der vollkommenen Verschmelzung von Wort und Ton zu höchstem Ausdruck.

So müssen, denkt man, russische Musikfreunde fühlen, wenn ein russischer Tenor ähnlich herrlich phrasiert. Wer des Russischen nicht mächtig ist, wird dergleichen auch beim allerbesten Tenor in einer Aufführung in unseren Tagen nicht erfahren.

Amüsantes Detail: Die Segnungen der jungen Stereophonie nutzte man damals zu akustischen "Inszenierungen" - so wandert Gisela Litz als Carmen während ihrer Habanera auf der imaginären Opernbühne im Wohnzimmer von Zentrum nach rechts und dann wieder weit hinüber an den äußeren Rand des linken Lautsprechers. Währenddessen denkt der Hörer vielleicht darüber nach, was gegen Bizet auf Deutsch sprechen könnte.

Die Vorschriften der Political Correctness zum Beispiel. Vielleicht hat sie ja "bunte Flügel", aber dass "die Liebe vom Zigeuner stammt", das geht natürlich heutzutage gar nicht mehr.

Wer's damit nicht so genau nimmt, erlebt bei "Oper auf Deutsch" die Dramen wirklich auf Punkt und Komma, versteht nicht nur vage, worüber jeweils gerade verhandelt wird, sondern kann die Verflechtungen und Intrigen bis in die kleinsten Verästelungen nachvollziehen.

Die große Arie des Figaro im vierten Akt der "Nozze", pardon: der "Hochzeit", gewinnt plötzlich enorme Brisanz, vor allem wenn ein Interpret wie Walter Berry singt, den übrigens die hinreißende "Rosenarie" der Susanna von Rita Streich dann gewiss gleich wieder versöhnlich stimmt.

Apropos Stimmen: Neben bekannten Größen aus jenen Tagen fördert die Edition einige Entdeckungen für die Nachgeborenen zu Tage: Auf die Prachtstimme von Sandor Konya hat man beinahe schon vergessen. Er brilliert hier in "Aida", "Hoffmanns Erzählungen", "La Boheme" und in den sogenannten Opernzwillingen "Cavalleria rusticana" und "Bajazzo".

Und noch weniger erinnert sich die Opernwelt an den deutschen Tenor Ernst Kozub, den Georg Solti einst so schätzte, der sich aber durch Ungeschicklichkeit und Schicksalsschläge um eine große Karriere gebracht sah. Man hört die heldische, edelmetallische Stimme hier in "Carmen" und, ja, das war der Ausgangspunkt zu dieser Geschichte, als Herzog im "Rigoletto".

Die Einheit von Text und Musik

Jedenfalls erschließen sich manche Kongruenzen zwischen Text und musikalischen Feinheiten in diesen Aufnahmen erst so richtig. Vor allem natürlich dort, wo die Übersetzer die Subjekte, Objekte und Adjektiva auch der musikalischen Syntax anzupassen verstanden haben.

Das gelang, man weiß es, nicht immer. Aber jedenfalls treffen die deutschen Übersetzungen punktgenauer als die heute üblichen Soufflier-Pads in den großen Opernhäusern oder gar die Übertitel, die ja noch einen ganz wesentlichen Nachteil haben: Sie lenken fortwährend vom Geschehen auf der Bühne ab.

Ganz abgesehen davon, dass dieses Geschehen immer öfter ziemlich krass von dem abweicht, was im Text gerade zu lesen ist. Aber ich schweife schon wieder ab. Das ist tatsächlich ein ganz anderes Problem.

LESERBRIEF

Oper auf Deutsch

"Sie hat ja doch ,bunte Flügel', die Liebe"

Es ist löblich, dass wenigstens Wilhelm Sinkovicz auf die Sinnlosigkeit der dreifach gleichen Programmierung von Operntiteln ("Rusalka", "Salome" u. a.) in den Wiener Opernhäusern - zum Nachteil der nicht gespielten deutschen Opern von Lortzing, Marschner, d'Albert, Kienzl, Flotow, Nicolai u. a. - hinweist, wie auch auf die Vernachlässigung von deutsch gesungenen Opern, wie vor allem der Mozartischen Da-Ponte-Opern. Die Übersetzungstexte zum (schwierigen) Mitlesen sind kein Ersatz, und Opern in der Landessprache zu singen ist nicht schwieriger als in der - weder von den Sängern noch vom Publikum - verstandenen Originalsprache.

Ioan Holender, 1190 Wien