Opern-Zensur

Zwischentöne Die kaiserlichen Zensoren bringen uns noch 2020 um Pointen Selbst ein Dichter wie Hugo von Hofmannsthal zielte hie und da auf die Region unter der Gürtellinie, was Richard Strauss sich gern gefallen ließ.

Opernkenner werden sich vermutlich gefragt haben, ob man an der Staatsoper im Zuge einer musikalischen Neueinstudierung der altgewohnten - gottlob nicht ausrangierten - Schenk-Inszenierung des "Rosenkavaliers" endlich auch einige der Kürzungen eliminieren würde, die seit Jahr und Tag in dieser Partitur gemacht werden.

Vor allem die sogenannte "Mägdeerzählung" des Ochs auf Lerchenau im ersten Aufzug hat die Aufführungspraxis auf ein Minimum zusammengestutzt. Das hatte ursprünglich mit der kaiserlichen Zensur zu tun - in Deutschland wie in Österreich. Der Baron schwärmt in dieser Szene nämlich vom Leben auf den lerchenauischen Gütern und den Mägden, die sich dort tummeln: "Und überall singt was und schupft sich in den Hüten und melkt was und mäht was und planscht und plätschert was im Bach und in der Pferdeschwemm", heißt es in Hofmannsthals Text, den Strauss mit allen erdenklichen akustischen Assoziationen zu den handgreiflichen Beschreibungen in Musik gesetzt hat.

Überdies preist Ochs auch, "wie sich das mischen tut", nämlich "das junge, runde böhmische Völkel schwer und süß, mit denen im Wald mit denen im Stall, dem deutschen Schlag, scharf und herb wie ein Retzer Wein". Ein solcher "kleiner Grenzverkehr" war für die Zensoren untragbar. Daher brachte man nicht einen, sondern gleich zwei Striche in dieser Szene an und zerstörte damit nicht nur den, zugegeben, unter die Gürtellinie zielenden Witz der Dichtung, sondern auch das Formgefüge der Musik. Aus einem großen Monolog, dem eine kurze Coda folgt, in der auch die Marschallin und Octavian mitsingen, ist ein großes Terzett mit einem kurzen Vorspiel geworden, das Ochs allein gestaltet.

Wie das wirklich klingen sollte, hört man im Übrigen nicht einmal auf den sogenannten Gesamtaufnahmen, die sich beinah alle an die übliche Strichfassung halten. Unter den raren Ausnahmen sind die Wiener Einspielungen Georg Soltis und Erich Kleibers, dessen Sohn Carlos sich hier - und das ist einer der wenigen Fälle! - einmal nicht an seinem genialischen Vater orientiert und in seinen legendären Aufführungen in München und Wien die Kürzungen übernommen hat.

Wer nachhören möchte: Bei Erich Kleiber in der grandiosen, in ihrer Gesamtheit bis heute nicht übertroffenen Studioproduktion mit Ludwig Weber und bei der im Netz verschiedentlich greifbaren Aufnahme mit Georg Hann aus München unter Clemens Krauss wird die ganze Erzählung gesungen; überdies in beiden Fällen zu meisterlicher, feinst schattierter und ironisch "kommentierender" Orchesterbegleitung.