Osterfestspiele

Reserve-Christus zwischen den Buddhastatuen

Christian Thielemanns Einstand in Salzburg mit der Staatskapelle Dresden: ein musikalisch ungemein spannender, modern klingender ,,Parsifal" in Luxusbesetzung, aber mit jämmerlich misslungener Regie.

Die Gabe der Bewußtseinsspaltung muss besitzen, wer anläßlich der Salzburger Osterfestspiele glücklich aus dem Festspielhaus gehen möchte. Die guten Nachrichten zuerst: Die musikalische Wachablöse gelang reibungslos. Daß die Berliner Philharmoniker, die seit 1967 das tönende Fundament des Festivals waren, nach Baden Baden übersiedelten, bedauerte am vergangenen Samstag wohl niemand. Christian Thielemann heißt der neue künstlerische Leiter. Er bringt seine Staatskapelle aus Dresden, ein Orchester, das es gewohnt ist, Konzerte und Opern zu spielen, den Wiener Philharmonikern vergleichbar – und ihnen als Edelklangkörper auch ebenbürtig. Damit hat man in Salzburg bereits eine drastische Verbesserung

erzielt: Bei den Berlinern, die ein reines Konzertorchester sind, hat die Einbindung in den Musiktheaterbetrieb seit dem Tod des Festspielgründers Herbert von Karajan nur noch in Ausnahmefällen geklappt.

Die durch Routine erworbene, instinktive Koordination mit der Bühne, die auch in aufwendigen Proben kaum vermittelbar ist, gilt den Dresdnern als selbstverständlich. Also kann sich der Dirigent tatsächlich aufs Interpretieren verlegen – Thielemann macht reichlich Gebraucht davon.

Der ,,Parsifal", den sich der Kapellmeister zum Einstand gewünscht hat, dürfte sogar Thielemannianer der ersten Stunde überrascht haben. Trügt die Erinnerung nicht, dann hat er gegenüber seinen früheren Einstudierungen in Berlin oder Bayreuth schon im ersten Aufzug gute zehn Minuten eingespart. Vom Weihegedanken, den der Komponist ja im Untertitel seines letzten Musikdramas anspricht, hält Thielemann nicht viel.

Wagner als Schönbergs Vorreiter

Eher demonstriert er heute Wagners Vorläuferstellung für die musikalische Moderne. Im Vorspiel fallen bereits die scharfen Trennlinien zwischen den Klangebenen auf, man orientiert sich weniger an den melodischen Linien als an der Vielfalt der Farb gebung. Wagner mischt auf seiner Orchesterpalette in der Folge ja beinahe Takt für Takt neue Valeurs. Das verwischt sich landläufig zu einem zwar bunt schillernden, doch rauschhaft vernebelten, illustrativen Klangkommentar zu dem, was auf der Szene passiert, bzw. wovon dort in ausführlichen Monologen die Rede ist.

Die Dresdner konterkarieren diese Musizierpraxis diesmal durch eine analytisch erhellende Gangart, die suggeriert, daß nicht erst Arnold Schönberg in seinem ,,Opus 16" das Phänomen der Klangfarbenmelodie erfunden hat.

Wenn es im ,,Parsifal" die viel zitierte ,,unendliche Melodie" zu finden gibt, dann in diesem durchaus avantgardistischen Sinn. Wagner war auch diesbezüglich früher dran. So klingt das Bühnenweihfestspiel mit einem Mal herber, interessanterweise auch heller als gewohnt – weit geschwungene gesangliche Linien modelliert das Orchester nur im Verein mit den machtvollen Chören aus Dresden und München, sowie vor allem in den beiden großen Zwischenspielen. Die lässt Thielemann dann allerdings zu existenziellen Tableaus werden. Hier weitet sich auch das dynamische Potenzial bis an die Schmerzgrenze, wohingegen während der Akte fragile Transparenz herrscht.
Die Singstimmen haben keine Mühe, durchzudringen. Wolfgang Koch kann mit kernigem Bassbariton den Amfortas und auch den Klingsor singen, ohne daß ihn beim verzehrenden letzten Aufschrei die Kraft verließe: Der Gralskönig leidet in nobler Belcanto-Würde, der Widersacher hingegen findet zu beißendem Sarkasmus.

So wird eine künstlich generierte Doppelrolle zum männlichen Pendant der rastlos ,,von Welt zu Welt" irrenden Kundry, die Michaela Schuster souverän von den wohlig-weichen Beschwörungen mütterlicher Fürsorge bis zu den haltlos herausgeschleuderten Flüchen im zweiten Finale gestaltet.

Stephen Milling ist der balsamisch tönende, weise Gurnemanz, dem nicht nur die jungen Gralsritter neugierig an den Lippen hängen und jede Silbe seiner Reden verstehen, Johan Botha der gewohnt unbeugsame Titelheld, der programmgemäß wie ein unschuldiges Kind ins Spiel kommt, und auch so singt, als wäre eine Wagner'sche Heldenpartie ein Kinderspiel.

Warum er dabei aussehen muss wie ein überdimensionierter Papageno, noch dazu von fünf kleinen Pa-pa-pa-pa- parsifalen begleitet, die sich im Mittelakt zu Jünglingen ausgewachsen haben und mit den Blumenmädchen flirten, das bleibt ein Geheimnis des Regieteams um Michael Schulz und den Maler Alexander Polzin. Bei den beiden ist man sich insgesamt nicht sicher, ob sie sich nicht im Stück geirrt haben.

Jedenfalls wird von den dramaturgischen Vorgaben des Librettos vieles nicht umgesetzt, aus der an sich interessanten Spannung, die sich aus der Vereinigung von Amfortas/Klingsor ergibt, zieht man nicht den geringsten Effekt. Dafür irren Figuren auf der Szene herum, die im ,,Parsifal" entweder nicht oder nur im Text vorkommen.

Amfortas wird ständig von zwei hauchzarten Nymphen umtänzelt, ein dornengekrönter Christus von einem schwarzbekutteten Tafelrunden-Samiel wie eine Petruschka-Puppe durchs Stück geführt. Wenn der Erlöser im dritten Akt nach etlichen Balletteinlagen stirbt, wirft sein Führer die Kutte ab und verwandelt sich in den nächsten Reserve-Heiland, dem man prompt mittels heiligem Speer die nötigen Stigmata versetzt.

Für wie viertel- bis halbgebildet darf man ein Publikum halten, ihm zur Verdeutlichung von Wagners Synkretismus solch lächerliche Bilder vorzusetzen – und einen Skulpturenhain aus antiken Gottheiten und Buddhastatuen dazu?
Die Osterfestspiel-Gäste ließen sich das nicht bieten, warteten geduldig, um dem Regieteam sein Missfallen auszusprechen. Der Rest war eitel Wonne und darf als gelungene musikalische Festspiel- Erneuerung gefeiert werden. Soviel zur Bewusstseinsspaltung.