Pendereckis Verwandlungen

Vom Abonnentenschreck zur Studentenirritation

Der künstlerische Lebenswandel eines berühmten Komponisten, gespiegelt in persönlichen Erfahrungen des nachmaligen Musikkritikers.

Ich erinnere mich sogar noch an den Platz, den ich damals ergattert habe, als im Münchner Nationaltheater "Paradise Lost" gegeben wurde. Ziemlich weit oben, ganz links. Ein Stehplatz nahezu ohne Sicht, was, wie mir meine bayrischen Opernfreunde hinterher versicherten, insofern schade war, als - pardon für den Chauvinismus - die hüllenlos erscheinende Eva im Paradies, es war Uta-Maria Flake, ein für Opernsängerinnenverhältnisse ausnehmend schöner Anblick gewesen sein soll.

Ich hatte mich aufs Hören zu beschränken. Die Szenerie war mir auch herzlich egal. Immerhin ging es um eine neue Oper von Krzysztof Penderecki. Und das war für den Kompositionsstudenten, der soeben damit beginnen sollte, im Gefolge von Kontrapunkt und Harmonielehre endlich etwas Zeitgemäßes anzupacken, eine spannende Sache.

So dachte ich, als ich die Stehplatzkarte erwarb. Aber schon nach ein paar Minuten musste ich verhohlen einen Blick aufs Programmheft werfen, um sicherzugehen, dass ich mich nicht im Vorstellungstag geirrt hatte. Tatsächlich, das war keine Wiederaufführung des Werks eines nicht ganz so begnadeten italienischen Puccini-Zeitgenossen. Das war, in deutscher Sprache gesungen, "Das verlorene Paradies". Musik von Penderecki.

Es war erst ein paar Jahre her gewesen, dass Zubin Mehta dessen "Threnos", den Klagegesang für die Opfer von Hiroshima, in einem philharmonischen Konzert in Wien dirigiert hatte. Eingekeilt zwischen eine Haydn-Symphonie und die "Symphonie fantastique" von Hector Berlioz.

Da gab es auch für lang gediente Elf-Uhr-Abonnenten kein Entrinnen und das Entsetzen war groß. Daran erinnere ich mich ebenso gut wie an die von den Streichern entfesselten Klänge, die an Sirenen erinnerten, nicht an jene, die Odysseus bezauberten, der sich dazu eigens an seinen Schiffsmast fesseln ließ, sondern an die, vor denen man sich in den Luftschutzkeller flüchtete.

Die Möglichkeit, einem Orchester, das harmonisch-fröhlich zu Haydns 82. Symphonie einen Bären tanzen lassen hatte, solche Töne zu entlocken, war faszinierend. Nun stand ich am Balkon ganz links in München und traute meinen Ohren nicht.

So ging es damals vielen. Helmut Lachenmann nannte den Kollegen gar einen "Penderadetzky", der Schande über das Haus der Neuen Musik bringe. So war es dann doch nicht. Die "seriellen Happenings", wie ein anderer Abtrünniger, Hans Werner Henze, die Lingua franca der E-Musik der Sechzigerjahre bezeichnete, hatten sich bald erschöpft.

Gerade in Wien war das von einem Häuflein Aufrechter stets prophezeit worden; nicht zuletzt im illustren Kreis um Friedrich Cerha, der mit seiner "reihe" in Zeiten der kühnen Avantgarde die erste Wiener Penderecki-Uraufführung zelebriert hatte. Penderecki war einer der ersten, die ganz ohne zu zögern den Rückzug antraten. Der entpuppte sich als Flucht nach vorn.