Philippe Jordan

"Das wäre in Paris nicht realisierbar"

Der neue Staatsopern-Musikchef Philippe Jordan im Gespräch: Warum Schönklang ein Muss ist, wie er mit Operndirektor Roscic redet, wer ihn die richtigen Fragen lehrte und wie man in Paris heute noch für Wagner kämpfen muss.

Die Presse: Die Staatsoper bekommt einen Musikdirektor, der sein Handwerk von der Pike auf gelernt hat: Sie waren, wie Karajan, mit 22 Kapellmeister in Ulm, Assistent bei Barenboim und Jeffrey Tate, dann Chefdirigent in Graz, sind bis Ende der Saison Musikchef an der Pariser Oper. Sie sind der Sohn eines Dirigenten, war diese Ochsentour vorgezeichnet?

Philippe Jordan: Tatsächlich sagte mein Vater: Wenn du Dirigent werden willst, rate ich dir, diesen Weg zu gehen. Er ist nicht angenehm, aber der beste. Und ich dachte: warum nicht? Oper habe ich immer geliebt.

Die meisten bekannten Maestri Ihrer Generation machen auf dem Konzertpodium Karriere, finden meist spät zur Oper.

Natürlich ist es nicht angenehm, Tag für Tag beim Balletttraining Klavier zu spielen. Aber man lernt auch da unendlich viel! Ich rate Dirigier-Studierenden, geht ans Theater. Wenn ihr nur ein bisschen Klavier spielen könnt: Nur so lernt ihr den Beruf. Ich will nicht Dirigier-Professoren an den Konservatorien kleinreden, aber ein, zwei Mal pro Semester zwei Stunden das Studentenorchester vor sich zu haben, ist zu wenig. Jeder Klavierstudent übt Klavier, jeder Geiger Geige. Ein Dirigent muss lernen, mit Orchester und vor allem mit Sängern zu arbeiten.

War es dafür auch wichtig, Dirigenten wie Jeffrey Tate und Daniel Barenboim zu assistieren? Was lernt man dabei?

Von Tate habe ich gelernt, wie man mit Sängern arbeitet. Er hatte auch als Korrepetitor angefangen und war unglaublich pingelig mit Text und Rhythmus. Er hat mich auch als Repetitor ungeheuer gefordert. Von Barenboim habe ich gelernt, das Ganze im Blick zu haben, zu fragen, worum es in der Musik geht. Und er hat nie gesagt, so muss es sein, hat Assistenten auch nie gezwungen, seine Tempi zu übernehmen. Er hat uns aber gelehrt, die richtigen Fragen zu stellen.

Wenn man den Beethoven-Zyklus hört, den Sie mit den Wiener Symphonikern eingespielt haben, merkt man, dass Sie auch die Fragen des viel beschworenen "Originalklangs" mitbedacht haben.

Natürlich habe ich in Zürich Harnoncourts Beethoven-Zyklus gehört, natürlich war ich von seinem Mozart schockiert. Aber es hat mich beeinflusst, schon deshalb, weil auch Harnoncourt ein Erbe weitergetragen hat. Er kam als Musiker von den Wiener Symphonikern, hat im Staatsopernorchester substituiert. Man spürt, dass in seinen Interpretationen etwas mitschwingt, auch wenn er es auf den Kopf stellt oder Dinge in seiner späten Phase noch einmal ganz anders angeht.

Das Beste von beiden Welten?

Mir geht es um die Synthese. Es geht ja nicht nur darum, wohlbekannte Stücke neu durchzudenken, sondern alle Elemente aufgrund des Notenbildes so klar wie möglich herauszubringen.

Wobei ich immer den Eindruck hatte, dass in Ihren Interpretationen bei allen oft schroffen, scharf geschliffenen Details eine Liebe zum Schönklang herrscht.

Natürlich muss die Musik ihre Kanten haben, aber die müssen schön klingen. Wenn wir über hässliche Klänge sprechen, verfallen wir leicht in Klischees: Selbst eine Dissonanz bei Schönberg kann schön klingen, in dem Sinn, dass die Intonation stimmt, der Klang leuchtet, die Obertöne stimmen.

Mit großen Opernhäusern sind Sie nach Gastspielen etwa auch an der Wiener Staatsoper durch Engagements in Berlin und zuletzt an der Pariser Oper vertraut. Wobei in Paris die Besonderheit herrscht, dass man ein Stagionesystem mit zwei strikt voneinander getrennt arbeitenden Orchestern pflegt, die jeweils nur eine Produktion spielen. Das ist ziemlich das Gegenteil von dem, was in Wien üblich ist.

Ja, da ist der himmelweite Unterschied des riesigen Repertoires, des Ensembles. Das ist natürlich eine Umstellung, aber gleichzeitig ist es für mich auch ein Nachhausekommen. In Ulm, Berlin und Graz war das meine Alltagsrealität. Da geht es wieder in Richtung Flexibilität. Man kann auch nicht sagen, wir machen aus der Staatsoper jetzt ein Stagione-Haus. Hier kann es schon vorkommen, dass eine Serie ganz ohne Bühnen-Orchesterprobe auskommen muss. Das wäre in Paris nicht realisierbar.

Fällt die Frage, wie viele Proben für welche Produktion - und mit welchem Dirigenten - abzuhalten sind, in die Entscheidungskompetenz des Musikdirektors?

Das alles läuft sehr gut. Roscic und ich reden buchstäblich über alles miteinander. Es gibt einen Direktor, der letztlich entscheidet, aber es wird alles besprochen, welches Stück wie intensiv geprobt werden muss, welche Gastdirigenten wir engagieren, welche Stücke wie besetzt sind, wie das Sängerensemble nachbesetzt wird. Natürlich schaue ich mir auch die Besetzungen für die Aufführungen an, die ich nicht selbst dirigiere. Und jedenfalls werden immer Fragen gestellt.

Als Musikdirektor mit Aufsicht über das Ganze agieren Sie auch gern, wenn Sie Mozart-Opern dirigieren. Bei den Salzburger Festspielen war das einmal ein Stolperstein, weil das Regieteam nicht akzeptieren wollte, dass Sie die Rezitative vom Hammerflügel aus selbst begleiten! Wie werden Sie das in Wien halten?

Vielleicht tue ich das beim kommenden Da-Ponte-Zyklus. Bei der "Figaro"-Wiederaufnahme will ich unserem exzellenten neuen Studienleiter die Gelegenheit dazu geben.

Nach Paris führt Sie nach dem Wiener Saisonbeginn noch einmal ein Wagner-Projekt zurück. Der "Ring des Nibelungen" war ja durch die Streiks in Paris und dann durch die Coronakrise gefährdet.

Ich habe den "Ring" gerettet. Das war unschön, als Stephane Lissner abging, war die Opera de Paris gerade arg gebeutelt. Seit Ende 2019 wurde nicht mehr gespielt. Nun sollte mit einer Übernahme der "Traviata" aus dem Palais Garnier der Betrieb an der Bastille wieder starten. Darauf habe ich gesagt: kommt nicht infrage. Wenn es szenisch nicht klappt, machen wir es zumindest konzertant. Wobei ich mich gut erinnere, wie das war, als wir 2013 das erste Mal seit Jahrzehnten den "Ring" in Paris zeigen konnten: Viele waren skeptisch und dann ganz erstaunt, dass wir locker noch einen zweiten "Ring" hätten verkaufen können. Erstaunlich, dass man in Paris noch im 21. Jahrhundert für Wagner kämpfen muss . . .