Quartett mit "Einspringer"

Streichquartett im Ausnahmezustand

Konzerthaus. Ein wahrlich besonderer Abend: Das Quatuor Ebene musste für den Beginn seines Beethoven-Zyklus kurzfristig den Primgeiger wechseln.

21. Februar 2020

Der GAU für ein Streichquartett: Man steht im Abfertigungsgebäude des Flughafens, um zum nächsten Konzert zu fliegen, und der Primgeiger erscheint nicht.

So geschehen am Dienstag in Paris: Das Quatuor Ebene flog nur als Terzett nach Wien. Pierre Colombet war plötzlich erkrankt und konnte nicht mitkommen. Die Entscheidung, den Beginn des Beethoven-Zyklus - man musiziert sämtliche Streichquartette des Jahresregenten im Mozartsaal des Konzerthauses - dennoch nicht abzusagen, bescherte dem Wiener Publikum einen wahrlich besonderen Abend.

Einspringer Fouchenneret

Pierre Fouchenneret, seit 2013 Primarius des Quatuor Strada und mit den Ebenes bestens befreundet, erklärte sich bereit, einzuspringen. Nun ist es bei einem Streichquartett nicht so einfach, den ersten Geiger zu wechseln wie, sagen wir, in der Oper, in der "Tosca" die Titelheldin auszutauschen. Der Primgeiger spielt keine Rolle in einer größeren Inszenierung, sondern ist Teil eines musikalischen Organismus. Und bei solchen Gelegenheiten begreift der Musikfreund ganz und gar, warum man von einem Klangkörper spricht. Die vier Musikanten eines Quartetts sind nicht mehr vier, wenn sie aufspielen, sondern eins. In diesem Sinne ist es vollkommen unmöglich, über Nacht Teil einer über Monate erarbeiteten Interpretation durch ein Ensemble zu werden, das über Jahre zu besagtem Klangkörper zusammengewachsen ist.

Was also bei solchen Drahtseilakten geschieht, wie man sie anhand dreier Beethoven-Quartette am Mittwoch im Mozartsaal erleben konnte, darf man getrost und mit allerhöchstem Respekt als sportliche Glanzleistung bezeichnen. Wer wollte, konnte schon beim F-Dur-Quartett, das Beethovens Werkreihe eröffnet, studieren, mit welchem Maßstab man diese Leistung messen könnte. Und woran abzulesen beziehungsweise abzuhören sein könnte, wo die unüberwindlichen Hürden für die vier exzellenten Musiker liegen; und exzellente Musiker müssen es sein, denen es gelingt, ein Auditorium zu Bravorufen zu bewegen, obwohl sie durchwegs daran gehindert sind, das vorzuführen, was sie mühevoll und akribisch einstudiert haben.

Rhythmische Millimeterarbeit

Natürlich weiß man beim eigenen Primarius, wie er atmet. Wie er tickt, um ein umgangssprachliches Diktum zu gebrauchen und auch den essenziellen Unterschied zwischen menschlichem Rhythmusgefühl und einem Metronom ins Spiel zu bringen.

Die Millimeterarbeit, die nötig ist, um vier Ansichten über punktierte Achtel- und die ihnen folgenden Sechzehntelnoten zu harmonisieren, die - gerade im Kopfsatz von op. 18/1 so maßgebliche - Frage, wie kräftig ein Sforzato zu akzentuieren und dynamisch in seine Umgebung zu integrieren ist, sind nicht bei einer kurzen Verständigungsprobe zu klären. Was, um ein Beispiel zu geben, in einer normalen Darbietung des Quatuor Ebene wie ein Echo klingt, nimmt sich bei Ebene minus eins plus Fouchenneret wie eine etwas andere Formulierung des nämlichen Sachverhalts aus.

Weicherer, zarterer Ansatz

Das ist ein ebenso gewaltiger Unterschied wie der grundsätzlich weichere, zartere Ansatz im Spiel des Gastprimarius, der sich gegen den auch im Pianissimo durchwegs herzhafteren Zugriff der Ebenes zumindest zu Beginn des Abends zaghafter ausnahm. Ohne dass dadurch das Hörvergnügen beeinträchtig gewesen wäre, das dem Publikum die übermäßigen Anstrengungen der vier Musiker auf dem Podium bereitet haben dürften - und das sich, versteht sich, jeglicher Kritik von vornherein entzog. Dass man angesichts der Lage das dritte Rasumovsky-Quartett mit seiner halsbrecherischen Schlussfuge durch das zweite Quartett ersetzt hat, hat jedenfalls bestimmt niemanden gestört.

Der Beethoven-Zyklus des Quatuor Ebene beginnt nun am 26. März. Am 19. Februar waren die Abonnenten bei einem singulären Ereignis zu Gast.