Schwertsik, Dünser

Sozialkritik nach Noten: Einmal frech, einmal bitterernst

Neue Musik ist nicht mehr unbedingt ein Minderheitenprogramm. Sie kann auch ,,politisch" sein – mit mehr oder weniger Humor: Uraufführungen von Schwertsik und Dünser.

Stell dir vor, sie machen Neue Musik, und keiner geht hin – so konnte man noch in den Achtzigerjahren witzeln. Noch wohlmeinende Festivals wie ,,Österreich heute" hatten mit dem ausufernden Desinteresse des Wiener Publikums an Musik diesseits der Richard-Strauss-Grenze zu kämpfen.

Mit ,,Wien modern" wurde die Sache dann plötzlich fashionable, allerdings nur für einen verhältnismäßig kleinen Kreis von Eingeweihten, in dem es wiederum chic ist, alles gut zu finden, was heutzutage auf Notenpapier geschrieben (oder im Computer gesetzt) wird.

Mittlerweile ist aber auch für das breitere Publikum alles anders geworden. Komponisten des 21. Jahrhunderts müssen nicht über Publikumsmangel klagen. Nicht alle jedenfalls. Wenn Kurt Schwertsik zur Präsentation einer Novität bittet, sei es auch ein kleines Märchenstück, frei nach den Brüdern Grimm, kann er sich des lauten Applauses sicher sein.

Der Gläserne Saal des Wiener Musikvereins war jedenfalls sehr gut besucht, als in der Vorwoche Christa Schwertsik und das Koehne Quartett den ,,Hans im Glück" präsentierten. Karl Ferdinand Kratzl hat die Geschichte vom glücklichen Deppen, der alles auf den Kopf stellt, was unsere, längst von Ratingagenturen gegängelte Gesellschaft für ein Wertesystem hält, in freche Reime gefasst. Diese sind rechtschaffen bissig, wenn auch nur mäßig schmerzhaft und durchwegs amüsant.

Christa Schwertsik singt und deklamiert, das Streichquartett steuert einige, sehr deutlich von Strawinskys ,,Geschichte vom Soldaten" inspiriert klingende Sentenzen dazu bei. Eine knappe Stunde Märchenfreude für Junggebliebene. Ein bisschen träumen wird man ja noch dürfen.

Die Realität samt Vergangenheitsbewältigung holt uns ja ohnehin auch im Kunstbetrieb früher ein, als uns lieb wäre. Kaum kommt man aus dem Souterrain des Musikvereins ans Tageslicht, vernimmt man eine Symphonie zu Ehren des antikapitalistischen Lenin- Vertrauten Karl Radek, die Richard Dünser frei nach seiner, dem Revolutionär gewidmeten Oper gestaltet hat. Das tönt freilich weniger liebenswert als Schwertsiks milde Kapitalismuskritik, da nicht bei Grimm, sondern im wirklichen, tragischen Leben der politischen Wirren der Ära der beiden Weltkriege gefunden. Dünser markiert quasi den Gegenpol der postmodernen Möglichkeiten, bindet tonale Agitationslieder in einen frei schwebenden Klangteppich ein, der Alban Bergs euphonische Dissonanzmilderungstechnik viel verdankt.

Die Slowakische Philharmonie unter der engagierten Führung von Ernest Hötzl erspielte Dünser im Goldenen Saal freundlichsten Applaus. Man kann offenbar als Zeitgenosse zwischen Mozart und Tschaikowsky reüssieren. Bleibt zu hoffen, daß es Dünser gelingt, als Professor in Graz sein eminentes handwerkliches Können an die kommende Generation weiterzugeben.

Immerhin: Zwei höchst unterschiedliche Möglichkeiten, sich im unwegsamen Gelände der Neuen Musik sicher zu bewegen