Sommernachtskonzert

Wintersturm und kein Wonnemond

Sommernacht. Es regnet recht verlässlich, wenn die Philharmoniker in Schönbrunn aufspielen. So scheußlich wie 2013 war das Wetter noch nie. Und doch: Musik erwärmt.

Ganz falsch kann die Sache nicht sein, wenn bei gräßlich- winterlichem Wetter 15.000 Menschen in den Schlosspark kommen, um die Philharmoniker aufspielen zu hören. Dennoch sollte sich das Orchester einen anderen Termin für dieses in alle Welt übertragene Ereignis aussuchen: Seit die Klassik-Popularisierungsmaßnahme lanciert wurde, gab es nur drei Termine, an denen es nicht regnete (an einem davon deshalb, weil er aus technischen Gründen verschoben werden musste . . .)

Derzeit kann sogar die Hohe Warte davon ausgehen, daß unser Meisterorchester im Kulturfahrplan so etwas wie die Neuauflage der früheren Eisheiligen darstellt. Wenn in Schönbrunn musiziert wird, herrscht verlässlich Schlechtwetter.

Es herrscht auch nicht der allerbeste Geschmack, so viel Kritik am Rande muss sein dürfen. Auch daran hat man sich aber schon gewöhnt, eines der wenigen Sommernachtskonzerte, die bis dato von lauen Lüften umweht waren, kombinierte Liszt mit ,,Star Wars". Heuer würfelte man Opernfragmente der Jahresregenten Verdi und Wagner durcheinander. Es verbietet sich von selbst, dabei von Kraut und Rüben zu fabulieren – also sagen wir Steak, Kaviar, Sachertorte, Forellenfilet und Blauschimmelkäse. Im Magen kommt ja auch alles zusammen.

Ganz falsch, wie gesagt, kann offenbar auch das nicht sein, sonst hätten nicht so viele in Schönbrunn ausgeharrt. Wer den ersten Schauer überwindet, wenn die Ballettmusik aus ,,Otello" auf den ,,Tristan" prallt, Lohengrins ,,Gralserzählung" zwischen die Ouvertüren zu ,,Luisa Miller" und ,,Die Macht des Schicksals" gerät, für den bleibt allerhand musikalisches Berichtenswertes, etwa die Klarinettensoli, die in den beiden genannten Verdi-Ouvertüren aufhorchen ließen.

Michael Schade als Lohengrin

Dann natürlich: Michael Schade, unser wunderbarer lyrischer Tenor, der plötzlich als Wagner-Held auf dem Podium steht. Den Bericht von Parzival und Montsalvat singt er makellos und sicher, besteigt den Gralsberg, vokaltechnisch betrachtet, nicht über den Heldensteig, sondern erklimmt ihn über die Südwand – die berüchtigte ,,Taube", die alljährlich herniederschwebt, ist in Schades Interpretation der zentrale Punkt. Die Schwergewichte unter seinen Kollegen müssen sich da mühevoll ins Piano herunterschrauben, und nicht allen gelingt es.

Schade wiederum setzt zum großen Crescendo an, wenn es um die Königskrone und seine Ritterschaft geht – und steht zuletzt als großer Sieger da.
Zuvor schon hat er sich in ganz anderem Fach bewährt. Auf das ,,Meistersinger"-Vorspiel folgte, stilistisch wirklich kraus, eine Arie aus Verdis ,,Lombarden", die den anderen Michael Schade hören ließ, einen Tenor, der selbst vom langsamsten philharmonischen Tempo nicht aus der Ruhe ebenmäßiger Phrasierungskunst zu bringen ist. Pflicht und Kür gelangen dem Solisten des Abends also vortrefflich.

Apropos Tempofragen: Lorin Maazel war – außer in seinen kühnen Anfängen – nie ein rasanter Kapellmeister, sondern liebt es, sich Zeit zu nehmen, den Klang zu modellieren und Melodielinien bis zur Neige auszukosten, sie gegen Ende dann noch des öfteren sozusagen mit einer ausführlichen ,,Kadenz" zu krönen, das heißt: noch langsamer zu werden. Für zweitklassige Orchester (und Sänger, versteht sich) wäre das desas trös. Für unsere Philharmoniker ist es ein Grund, all ihren Schönklang zu mobilisieren und in Ruhe zu bündeln. So oft kann Maazel den Auftakt gar nicht weiter unterteilen, daß Konzertmeister Rainer Küchl ihm nicht freundlich lächelnd zu verstehen gäbe: Sein Geigenbogen reicht auch für weitere Verzögerung noch aus. Für die Verteilung der Musik im großen Parkgelände eignet sich diese zelebrierte Ausführlichkeit vielleicht besser als tollkühn-virtuose Rasanz – und die Klangwellen von Vorspiel und ,,Liebestod" aus dem ,,Tristan" entfalten sich mit einer Schönheit, die zu hedonistischem Hörgenuss verführt; da wird wohl dem kälteempfindlichsten Besucher warm ums Herz.

„Aida“, die ,,Walküre“ und Erinnerungen

In der Zwischenzeit hatte mancher Wiener Opernfreund möglicherweise auch Zeit, die Gedanken drei Jahrzehnte zurückschweifen zu lassen – das Konzert begann mit dem Triumphmarsch aus ,,Aida" und endete mit einem fulminanten ,,Walkürenritt". Ob Lorin Maazel sich bei dieser Gelegenheit daran erinnerte, daß er 1984 zwischen der heftig umfehdeten ,,Aida"- Premiere mit Luciano Pavarotti im April und einer bejubelten konzertanten ,,Walküre", wenige Tage später, seine Entscheidung bekannt gab, die Direktion der Wiener Staatsoper nach knapp zwei Jahren wieder niederzulegen?

Jüngst ist er zum Ehrenmitglied des Hauses geworden und den Philharmonikern trotz allem seit mehr als einem halben Jahrhundert treu verbunden. Nicht von ungefähr ist er nach Willi Boskovsky und Clemens Krauss der meistbeschäftigte Neujahrskonzert-Dirigent des Orchesters. Auch daran wurde man erinnert, denn als Finale erklang, Wagner hin, Verdi her, wie gewohnt ,,Wiener Blut" . . .