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Zwischentöne Nach Toscas Todessprung stirbt ein verräterischer Seemann Zwei Livestreams hintereinander beweisen, dass an der Wiener Staatsoper auch in Zeiten des scheinbaren Stillstands hart gearbeitet wird.

Am Abend nach "Tosca" mit Anna Netrebko streamt die Staatsoper erneut aus dem zuschauerlosen Haus: Diesmal jedoch eine Premiere in jeder Bedeutung des Wortes: Chefdramaturg Sergio Morabito stellt sich an der Seite seines Partners Jossi Wieler als Regisseur vor und zeigt Hans Werner Henzes "Das verratene Meer".

Diese Oper war in Wien noch nie zu sehen, obwohl sie zu den wirkungsvollsten Musikdramen der jüngeren Musikgeschichte zählt. Uraufgeführt 1990 in Berlin, kam das Werk in einer Neufassung vor Jahren bei den Salzburger Festspielen konzertant heraus - in japanischer Sprache. Das war Henze wichtig, denn sein Werk basierte auf dem Roman "Gogo No Eiko" von Yukio Mishima.

Kurios genug, hat sich doch der Autor dem Problem der Vereinsamung und Brutalisierung der Großstadtjugend von einem ganz anderen politisch-weltanschaulichen Standpunkt her genähert als Henze, der einstige Rudi-Dutschke-Sympathisant.

Herausgekommen ist bei dieser künstlerischen Melange ein schlagkräftiges Stück über einen jungen Burschen, der zunächst vom Liebhaber seiner verwitweten Mutter fasziniert ist, aber unter dem Einfluss seiner Jugendbande zu dessen erbittertem Gegner wird: Die Jungen beten das Meer als ihren Gott an - und der neue Stiefvater hat das Meer verraten, weil er der Mutter zuliebe seinen Seemannsberuf aufgab.

In zwei atemberaubenden theatralischen Crescendi beschreiben Henze und sein Librettist Hans-Ulrich Treichel die seelischen Konflikte, die zunächst (Teil I, "Sommer") in der Schlachtung einer Katze, dann aber (Teil II, "Winter") in der rituellen "Opferung" des Seemanns durch die Jugendbande gipfeln.

Die in ausführlichen, farbigen Orchester-Intermezzi ausgemalte Handlung beschreibt auch die sexuellen Probleme des adoleszenten Antihelden. Höchste Zeit für ein solch effektsicher komponiertes Werk in Wien?

Henze hatte an der Staatsoper stets einen schweren Stand. Die erste Wiener Premiere galt zwar immerhin Rudolf Nurejews Produktion des "Tancredi", der aber nach sechs Wochen vom Spielplan verschwand.

Der von Ingeborg Bachmann gedichtete, von Federico Pallavicini, dem Meister der legendären Demel-Schaufenster, märchenhaft ausgestattete "Junge Lord" überlebte nur neun Monate und "Orpheus", verrätselt von Ruth Berghaus, verschwand wie die Kinderoper "Pollicino" nach elf Vorstellungen in der Versenkung.

Aber "Das Meer" wird hoffentlich nicht nur vor leerem Haus "verraten".