Till Fellner

Pianist auf Tauchgang

Im Gespräch. Ein skrupulöser Interpret über seine Leidenschaft für das Kino und die Versuche, via Kompositionsstudium zu den Urgründen der Meisterwerke vorzudringen.

Zwei Ausnahmen, sagt Till Fellner, habe er gemacht: Als Herbert Blomstedt und Bernard Haitink anfragten, konnte er nicht widerstehen. Im Übrigen aber war 2012 für den Wiener Pianisten Pause, ein sogenanntes ,,Sabbatical", bei dem man alles tut, nur nicht das, wofür man berühmt geworden ist. Neue Stücke gelernt hat er schon in diesen Monaten. Aber wenn Konzertauftritte wegfallen, gewinnt man Zeit, wieder einmal zu Hause zu sein – und zum Beispiel Filme anzuschauen.

„Ich habe mich", erzählt Fellner, ,,viel mit Bunuel beschäftigt." Viel, das heißt bei ihm, näher befragt, ,,alle 32 Filme angeschaut". Und gleich eine Arbeit darüber geschrieben, genauer gesagt, einen Aufsatz über die Musik bei Bunuel. Die ,,Neue Zürcher Zeitung" hat ihn jüngst publiziert.

Über Musik und bewegte Bilder

Fasziniert hat Fellner, daß es in den großen Filmen dieses Regisseurs so etwas wie Hintergrundmusik nicht gibt. Dafür ,,viele Momente, in denen der leidenschaftliche Opernfreund die Musik dazu nützt, Dinge zu erzählen, die eben nur musikalisch zu erzählen sind."

Recherchearbeit beschäftigt jedoch nicht nur den Cineasten Fellner. Im freien Jahr begann der Künstler auch ein Kompositionsstudium bei Alexander Stankovski. Das scheint bezeichnend für einen Pianisten, von dem Musikfreunde das Bild eines skrupulösen, introvertierten Arbeiters haben, der freilich stets mit gelösten, wenn auch durchdachten Interpretationen besticht.

In diesem Sinn begann er nun, tiefer in die Geheimnisse von Kontrapunkt und Harmonielehre einzudringen. Mit Stankovski geht er auch Werke der Klassiker und Romantiker durch, die er gerade einstudiert. Im Rahmen des Unterrichts entstanden überdies Kadenzen zu Mozarts c-Moll-Klavierkonzert, womit sich Fellner in die Fußstapfen der bedeutenden Pianisten vergangener Zeiten begibt.

Die ,,Uraufführung" fand übrigens in Wien statt – und es waren doch einige aufmerksame Musikfreunde im Saal: ,,Ich bin nachher gefragt worden", sagt Fellner, ,,ich glaube, es stand nicht im Programmheft, daß die Kadenzen von mir waren." Es fällt also durchaus noch auf, wenn ein Interpret tut, was zu Zeiten der Wiener Klassiker als selbstverständlich galt.

Demnächst ist Till Fellner wieder mit einem Recital zu erleben. Im Rahmen der Festwochen-Konzerte spielt er im Konzerthaus Bach, Mozart, Haydn und Schumann. Das ist zwar, erläutert er, ,,nicht der Anfang eines Zyklus, aber ich möchte meinem Repertoire in den kommenden Jahren einige weitere Schumann-Stücke hinzufügen und ich möchte mich Mozarts Klaviersonaten widmen. Ich habe ja viele Mozart-Konzerte gespielt, aber kaum die Sonaten."

Vor Mozarts Solowerken hatte Fellner, wie er gern zugibt, ,,immer ein bisschen Angst. Sie gehören zum Schwierigsten." Diesen Satz formulieren viele Pianisten nahezu gleichlautend – doch scheint er dem Nichtpianisten zunächst schwer begreiflich: Ein Blick auf das Notenbild suggeriert, da könnten für einen virtuosen Spieler wenig Schwierigkeiten versteckt sein.

Fellner wendet ein: ,,Zum Beispiel die Sonate, die ich jetzt spiele, KV 533, da ist die Musik im ersten Satz über weite Strecken zweistimmig, sogar im doppelten Kontrapunkt. Das ist übrigens sehr schön an einem Abend mit Bach zusammen, denn diese Musik ist ohne Bach ja undenkbar."

Aber für den Interpreten heißt eine solch schlichte Faktur: ,,Da sind so wenige Noten, sodaß jede Note ungeheures Gewicht bekommt. Die Musik ist so durchsichtig, man kann nichts verstecken." Oder anders formuliert: ,,Es gibt kein Rauschen drumherum." Musik pur also. Das Kompositionsstudium nützt zur geistigen Durchdringung solcher Herausforderungen gewiss. Es hilft, so Fellner, ,,besser zu verstehen, wie die Stücke gemacht sind".

Daß er sein neues Programm jetzt nach einem Vorbereitungsabend in Deutschlandsberg in Wien, danach bei Festivals in Schwarzenberg und Ossiach präsentiert, sagt viel über die Akzeptanz des Künstlers in seiner Heimat aus. Immerhin: Reisen führen ihn demnächst nach London, in der Folge auch wieder über den Ozean – Till Fellner ist seit seinem Sieg beim Clara-Haskil-Wettbewerb, 1993 eine fixe Größe im internationalen Musikbetrieb, aber von Anbeginn das Gegenteil jenes berüchtigten Propheten, der im eigenen Land nichts gilt.

Beide Wiener Häuser bitten ihn jährlich zu Auftritten, Musikvereins- Chef Thomas Angyan gab Fellner sogar für Programme, die gemeinhin als ,,riskant" gelten würden, Carte blanche – und das Publikum kam und jubelte. Der geborene und ,,gelernte" Wiener kommentiert mit einen Anflug von Ironie: ,,Ich war am Anfang darüber sogar ein bisschen erstaunt, hatte jedenfalls immer das Gefühl, daß ich willkommen bin."