Trevor Pinnock spielt Bachs "Wohltemperiertes Klavier"

Trevor Pinnock ist wohl einer der weltweit bekanntesten Originalklang-Interpreten und als Orchesterleiter wie als Cembalist viel gerühmt. Wer die Doppel-CD mit der Neuaufnahme des ersten Bandes von Bachs „Wohltemperiertem Klavier“ in die Hand bekommt, ist zunächst versucht, in seiner Sammlung eine frühere Wiedergabe dieser Musik durch Pinnock zu suchen.
Er wird nicht fündig werden. Es handelt sich tatsächlich um Pinnocks erste Einspielung der Präludien und Fugen, die ihn aber selbstverständlich durch sein ganzes Musikerleben begleitet haben. Seinen „wohltemperierten“ Aufnahmeplan verschob er, wie er im Beiheft schreibt, „in Zehnjahresschritten“. Erst jetzt fühlte er den rechen Zeitpunkt gekommen.
Was der gereifte Interpretations-Pionier Pinnock vorgelegt hat, klingt in vielen Momenten nach einer Versöhnung zwischen radikal gedachter Originalklang-Ästhetik und romantischer Bach-Exegese. Jedenfalls wirkt die Aufnahme in keiner Sekunde sektiererisch, in etlichen Momenten – etwa im c-Moll-Präludium – sogar beinahe improvisatorisch, den Möglichkeiten des Notentextes nachlauschend; die Fuge folgt dann in überraschender Spritzigkeit: Konnte c-Moll jemansl so tänzerisch, ja leichtfüßig klingen?
Diese Frage führt uns zur Stimmung des Instruments: Pinnock wählte nach langen Überlegungen einen Kammerton, der mehr als einen Ganzton unter den heute gewohnten 440 Hertz angesiedelt ist.
So klingt das berühmte C-Dur-Präludium dann für heutige Ohren sozusagen in imaginärem Ais-Dur. Man überlegt auch, wie Bach, der seine Instrumente gern selbst stimmte, es gemacht haben könnte, dass für die Zeitgenossen bei aller „Wohltemperiertheit“ doch kleine Differenzen blieben, um einzelnen Tonarten charakteristische Intervallspannungen zu sichern.
Pinnock gelingt die nötige Differenzierung durch artikulatorische Kunstfertigkeit. Er könnte gewiss den kühl-räsonierenden, fast trotzigen Ton, den er für das sonst gern larmoyant zerdehnte es-Moll-Präludium findet, in jeder beliebigen Tonart anschlagen. Und er zerstreut jedenfalls vom ersten Moment an Bedenken, ein Cembalo könnte mangels farblicher und dynamischer Differenzierungsmöglichkeit dem modernen Konzertflügel unterlegen sein.
Pinnock entlockt seinem Instrument, einem 1982 liebevoll hergestellten Nachbau eines Cembalos von Henri Hemsch aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, einen warmen, oft erstaunlich satt timbrierten Klang, dessen sonore Tiefenwirkung er spürbar mit Lust auskostet. Daraus resultiert vermutlich die Freude an einem behutsamen Aufbrechen gleichmäßiger rhythmischer Bewegungen, um den Phrasen gesangliche Lebendigkeit zu sichern.


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