Turandot vor dem Lockdown

Turandot mit Mut zur Leichtigkeit

Staatsoper. Elena Pankratova und Roberto Alagna geraten in Puccinis letzter Oper kräftig aneinander, um im Verein mit Golda Schultz auch sanftere Töne anzuschlagen.

29. Februar 2020

Puccinis "Turandot" zählt im italienischen Repertoire zur gefährdeten Spezies. Die dramatische Anlage des Mittelakts mit seiner Rätselszene bedingt Besetzungen mit großen, durchschlagkräftigen Stimmen. Die Titelpartie zumal haben sich die bedeutendsten Wagner-Heroinen zu eigen gemacht. Das hat über die Jahrzehnte zu einer Art spezifischem "Turandot"-Gesangsstil geführt, der mit den ästhetischen Anforderungen des sonstigen Puccini-Repertoires nur zum Teil kompatibel scheint.

Nun finden wir im besten Fall natürlich Primadonnen des heroischen Fachs, die imstande sind, auch Strauss' Elektra zu singen, aber für Turandot dann doch auch vom Tragödienton zu einer gewissen vokalen Humanität finden.

Elena Pankratova ist eine solche Interpretin. Ihre Turandot ist eine Wucht, schon deshalb, weil ihr Sopran auch in den wütendsten Entladungen von Hass- und Rachegefühlen nichts an Sicherheit einbüßt: Die Töne überstrahlen das Wiener Orchester, auch unter Ramon Tebar nicht zimperlich, mühelos und strahlend.

Den sportlichen Ehrgeiz von Roberto Alagna, den man nie unterschätzen sollte, fordert sie dadurch auf das Äußerste. Seine Attacken im Quiz auf Leben und Tod setzt der Tenor mit dem ihm eigenen Totaleinsatz - und gewinnt bis hinauf zum hohen C, das gewiss nicht besonders farbenreich, doch imposant sein Selbstbewusstsein dokumentiert: Ein solcher "fremder Prinz" unterliegt nicht.

Der Tod und die Komödie

Obwohl er im "Nessun dorma" zu Beginn des dritten Akts dann ein wenig kurzatmig wirkt und im Schlussduett sogar ein paar Töne nicht ganz dort sitzen, wo sie sollten, bilanziert Alagna dank seiner umwerfenden Bühnenpräsenz positiv. Vor allem steht er spätestens in der Kussszene einer Herausforderin gegenüber, die ihrer Stentorstimme plötzlich manch lyrischen Klang abgewinnen kann.

Schon ihre verwunderte Reaktion auf die Standhaftigkeit der Sklavin Liu, die lieber stirbt als dass sie das Geheimnis ihres adorierten Prinzen preisgäbe, verrät, dass hinter der Maske des Todesengels manch zartere Saiten schwingen.

Golda Schultz, erstmals als Liu in Wien, bietet ja tatsächlich anrührend das Gegenbild zur bis dahin vollkommen kaltblütigen Herrscherin, ganz verinnerlicht singt sie, hie und da beinah zu wenig spürbar in Richtung Publikum. Doch gilt ihr dessen volle Teilnahme, dank schwebender Pianissimi und zart, aber fest gesponnenen Phrasen in den beiden Arien vor dem Finale. Ryan Speedo Green (Timur) beweint ihren Freitod dann herzzerreißend.

Rundum wirbelt relativierend Marco Arturo Marellis Theater-im-Theater-Inszenierung mit all ihren clownesken Anspielungen auf die komödiantische Herkunft der Opernvorlage aus Carlo Gozzis Commedia-dell'Arte-Kabinett. Alles halb so wild, aber effektvoll.