Verdi, mehrsprachig

Verdi, weitherzig in allen Sprachen

Staatsoper. Auf Französisch gibt man zum letzten Mal auf längere Zeit den nach wie vor atemberaubenden ,,Don Carlos", auf Italienisch leidet ,,Rigoletto" auf mustergültige Art.

Das ist und bleibt eine der herausragenden Produktionen, die in Wien zu sehen und zu hören sind: Verdis ,,Don Carlos" in der längstmöglichen, für Paris komponierten Fassung, die der Meister selbst nie ungekürzt zu hören bekommen hat, in der Inszenierung Peter Konwitschnys unter der musikalischen Leitung von Bertrand de Billy. Eine Serie dieses Wurfs zeigt das Haus am Ring noch. Dann ist offenbar für einige Jahre Schluß damit.

Man sollte daher die Staatsoper stürmen, um das zu erleben. So viel Harmonie zwischen szenischer Choreographie und musikalischer Feinabstimmung ist nicht oft zu verzeichnen. Zieht man die übers Ziel hinausgeschossene TV-Kasperliade des Autodafés ab, gibt es an diesem Abend, der beinah so lange dauert wie die ,,Götterdämmerung", keinen Leerlauf. Im Gegenteil, die Zuspitzung der dramatischen Ereignisse erreicht einen Grad der Verdichtung, wie er nur in idealen Musiktheater-Momenten möglich wird.

Das hat in nicht geringem Maße mit Bertrand de Billys Kunst der Fokussierung zu tun und mit der wachsenden Lust der Philharmoniker, sich ganz und gar darauf einlassen. Vom kleinsten illustrativen Farbtupfer bis zur großen, szenenumspannenden Linie hat man hier alles unter Kontrolle – und spielt dabei jedes Detail mit Freude und eminenter Ausdrucksstärke aus.

Dem genügen auf der Bühne fast alle Darsteller: Gespielt wird minuziös differenziertes, psychologisches Theater – und im ,,Ballett", historisch nicht ganz falsch, entspannendes Kabarett. Gesungen wird immerhin in vielen Fällen so, daß die vokale Skala beinahe so reichhaltig scheint wie die gestische. Vor allem Georges Petean und Kwangchul Youn als Posa und König Philipp brillieren in dieser Hinsicht. Des Baritons Phrasierungskünste scheinen heute kaum zu egalisieren, des Basses wohltönender, im Zorn wie – vor allem – in der melancholischen Reflexion vielgestaltiger Empfindungsreichtum desgleichen.

Die Damen, Iano Tamar und Nadia Krasteva, sind von wohlbekanntem Bühnentemperament und erfüllen Königin wie nebenbuhlerische Prinzessin mit genügend roten Blutkörperchen. Nur der Infant, Yonghoon Lee, neigt ein wenig dazu, in seiner Zerrissenheit laut aufzuschreien, was verständlich scheint, doch nicht immer gut klingt. Fulminant bis in die kleinste Nebenrolle sind hingegen die übrigen Granden, Diener und Geistererscheinungen besetzt.

Auch über ,,Rigoletto", die andere Produktion des laufenden Verdi- Schwerpunkts, kann Vergleichbares gesagt werden. Hier brillieren drei persönlichkeitsstarke Darsteller. Simon Keenlyside ist gewiss nicht der Inbegriff des typischen Verdi-Baritons, vermittelt mit den Mitteln ebenmäßigen Belcantos aber ein anrührendes Seelenporträt des traurigen, geprellten Spaßmachers am Hofe eines leichtfertigen, auch entsprechend (und bewundernswert) locker parlierenden Herzogs, Matthew Polenzani.

Bezaubernde Debütantin Peretyatko

Der bewegliche, eloquente Tenor bietet dem perfekten Gesang der Gilda, Olga Peretyatko, mühelos Paroli. Das will etwas heißen, denn die junge Debütantin besticht dank wohllautend gerundetem, doch bis in höchste Koloraturhöhen sicher geführtem Sopran und empfiehlt sich für hoffentlich viele weitere Gastspiele.

Wie auch Jesús López-Cobos, der am Pult besonnen und mit enormem Gefühl für die Nöte der Sänger waltet, ohne deshalb auf die gezielte Entfaltung von Verdis Melodien zu vergessen. Ein idealer Kapellmeister – und insgesamt gute Gelegenheiten für Wiener Melomanen, den großen Italiener unter den Jahresregenten gebührend zu feiern.