Wagner gegen Dietsch

Spannende Experimente in Sachen Wagner-Aufarbeitung finden nicht nur in den Opernhäusern statt. Wiens Konzerthaus gräbt bis an die Wurzeln der kühnen Musikdramen.

Von wem stammt eigentlich die Musik zum Fliegenden Holländer?

Bitte um Verzeihung, aber es muss sein. Noch einmal Wagner. Aber neben den rauschenden Feierlichkeiten, die Dirigenten vom Schlage Franz Welser-Mösts und Christian Thielemanns dem Opernmeister in Staatsoper und Musikverein rund um den 200. Geburtstag beschert haben, soll anderes nicht ganz untergehen.

Oder besser: Der ,,fliegende Holländer" geht am kommenden Samstag gleich zweimal unter. Und zwar im Konzerthaus, wo man das Werk in einer konzertanten Aufführung erleben kann. Die Wurzeln sollen da ausgelotet werden – mehrfach.

Zum einen dirigiert Marc Minkowski seine Musiciens du Louvre, die, wenn es so etwas geben darf, so ziemlich das Gegenteil des Bayreuther Festspielorchesters darstellen. Originalklang von anno 1843? Daß ein solcher überhaupt rekonstruierbar ist, bestreiten viele Kommentatoren vehement, die nicht unziemlich anmerken, daß wir ja in einer akustisch völlig anders tickenden (rasselnden, tobenden) Zeit zu Hause sind.
Und doch: Das Experiment darf uns interessieren, denn ein wenig Abstraktionsvermögen soll ein Interpret von seinem Publikum auch verlangen können. Hören wir über die Gräben hinweg, die uns von Wagners Anfängen trennen. Es lohnt sich bestimmt, zumal der historischen Schatzgräberei mit dem Versuch, den in d-Moll-Wogen schäumenden Meeressturm einmal auf Darmsaiten in Klang zu verwandeln, noch kein Ende ist.

Bereits am Nachmittag vor der Rekonstruktion der Urfassung von Wagners kühnem Werk steht im Konzerthaus – musiziert vom selben Ensemble – ein ,,Holländer" auf dem Programm. Er basiert auf Wagners Stoff, den der Erfinder allerdings aus Geldnot verkaufen musste, ehe er sich selbst ans Komponieren machen konnte.

So kam der fünf Jahre ältere Pierre-Louis Dietsch zu der Ehre, ,,Le vaisseau fantôme, ou Le maudit des mers" vertonen zu dürfen. Ein Jahr vor der Dresdner Premiere von Wagners Werk erblickte dieser französische Bruder das Licht der Bühnenwelt – in Paris, wo man Wagners Theaterfantasie, nicht aber die dazugehörigen musikalischen Visionen nutzen wollte.

Eine solch singuläre Gegenüberstellung – die ,,Ausgangsposition" bei diesem Wettbewerb ist dank gleichem Dirigenten und identischem Orchester fair – sollten sich Musikfreunde mit musikologischen Ambitionen nicht entgehen lassen.

Abgesehen davon, daß als Wagners Titelheld Evgeny Nikitin zu hören sein wird, der in Bayreuth anläßlich der Vorbereitungen zur ,,Holländer"-Neuinszenierung wegen einer Jugendsünde exkommuniziert wurde . . .

Zur Einstimmung empfiehlt sich morgen ein Besuch im Mozartsaal, wo einer der besten Kenner der Wagner'schen Kunst die gesamte Entwicklung des Dichterkomponisten Revue passieren lässt: Wann hört man Fragmente aus ,,Liebesverbot" und ,,Feen", konfrontiert mit Ausschnitten aus den Musikdramen von ,,Lohengrin" bis ,,Götterdämmerung", sachkundig kommentiert und am Klavier zum Klingen gebracht? Stefan Mickisch kann das – und macht Musikfreunden damit ein Wagner-Geburtstagsgeschenk.