Weinbergers "Frühlingsstürme"

Gleich nach der Premiere kamen die Nazis Operetten-Revival. Mit Jaromir Weinbergers "Frühlingsstürmen" wurde in Berlin die letzte Erfolgsoperette der Weimarer Republik auf DVD gebannt.

Das ist eine der spannendsten DVD-Neuerscheinungen: Barrie Kosky hat in seiner Komischen Oper Berlin im Frühjahr 2020 die Operette "Frühlingsstürme" von Jaromir Weinberger herausgebracht (bei Naxos), ein effektvolles Stück aus der Werkstatt eines Meisters, der vor 1933 nicht nur im leichten Genre erfolgreich war.

Diesmal geht es nicht um Koskys gewohnt bunt-bewegte Regie. Es geht zur Abwechslung einmal wirklich ums Werk. Und um den Komponisten. Vielleicht erinnern sich Musikfreunde an Weinbergers "Schwanda, der Dudelsackpfeifer", der einst auf dem Programm der Volksoper stand. Das ist vier Jahrzehnte her und war der Versuch, ein Werk wiederzubeleben, das vor 1933 im deutschen Sprachraum, aber auch darüber hinaus eine der meistgespielten zeitgenössischen Opern war.

Polyphonie für den Operettentenor

Weinberger, aus Prag gebürtig, hatte unter anderem bei Max Reger studiert, der ihm seine Leidenschaft für raffinierte Kontrapunktik vererbte. Weinbergers Satzkunst war eminent: Selbst wenn er böhmische Volkstänze und Volkslieder verwendete, bettete er sie in komplexe Harmonien und umrankte die Melodien mit wuchernden Nebenstimmen. Doch traf er nicht nur im Fall der großen Oper den rechten Ton - wie bei seinem "Wallenstein", der mit Roman Trekel in der Titelpartie 2012 im Wiener Konzerthaus konzertant Eindruck machte. Sondern auch bei der böhmischen Märchenoper "Schwanda" und bei einer Operette vom Format der "Frühlingsstürme" empfand das Publikum die Musik als erfreulich eingängig.

Jarmila Novotna und Richard Tauber

Immerhin standen bei der Uraufführung der "Frühlingsstürme" Ende Jänner 1933 Jarmila Novotna und Richard Tauber auf der Bühne des Berliner Admiralspalasts. Und Weinbergers Musik bediente sowohl die wirbelnden Ansprüche des damals beliebten Genres Revue-Operette als auch jene der singenden Publikumslieblinge, die nach Einschmeichelndem verlangten.

Der Tenor bekam von ihm eine nostalgisch-schöne Auftrittsmelodie, im Finale auch das notorische "Tauber-Lied" zum Abschied von seiner Geliebten. Franz Lehar stand nicht nur dafür Pate. Wie sein "Land des Lächelns" spielen die "Frühlingsstürme" in Fernost, und die Diva lässt den Geliebten, diesfalls einen japanischer Offizier, nach kurzem, trügerischem Glück zu schlechter Letzt allein zurück.

Weinberger gelangen für die im russisch-japanischen Krieg 1904/05 angesiedelte Handlung Nummern von ganz eigenem Reiz, wie die erfreulich dezent nach aktuellem Geschmacksdiktat adaptierte Wiederbelebung des Stücks in der Komischen Oper bewiesen hat. Dass die Produktion wegen der Coronakrise abgesetzt werden und die geplante Neuinszenierung des "Schwanda" unterbleiben musste, weckt unliebsame Assoziationen - waren doch wenige Wochen nach der Premiere anno 1933 die Nationalsozialisten an die Macht gekommen, die heftigen "Frühlingsstürme" verweht und der Komponist auf der Flucht. Alles war damals vom finsteren Zeitgeist überschattet: Jarmila Novotna sang nur die allerersten Vorstellungen. Danach probte sie mit Max Reinhardt für dessen letzte Berliner Theaterpremiere. Vor allem aber war sie den Veranstaltern nicht mehr recht geheuer, weil sie allzu deutlich gegen die künftigen Machthaber Stellung bezogen hatte.

Politisch verfeindetes Buffo-Paar

Die politischen Auseinandersetzungen zogen sich bis auf die Hinterbühne: Der Buffo-Tenor, Siegfried Arno, war Jude, seine Soubrette, Else Elster, begeisterte Parteigängerin Hitlers. Die beiden waren einander spinnefeind. Doch auf der Szene küssten sie sich leidenschaftlich - und galten beim Fallen des Vorhangs nach den "Frühlingsstürmen" als die glückseligen Gewinner.

Richard Tauber machte übrigens mit seiner Lebenspartnerin Mary Losseff kurz nach der Uraufführung noch Aufnahmen der vier schönsten Szenen aus Weinbergers Werk. Sie kamen nicht mehr in den Handel.

In der heutigen Ausgabe unserer täglichen Serie "Musiksalon" sind drei davon zu hören - eingebettet in ein Porträt des Komponisten Jaromir Weinberger, der im US-Exil erfolglos blieb und vereinsamt eines vermutlich selbst gewählten Todes starb.

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