Wie Leonard Bernstein zum Wiener wurde

Für die Wiener Musikfreunde war Leonard Bernstein in den mittleren 1960er-Jahren so etwas wie ein Ersatzvater: Herbert von Karajan war gerade im Zorn aus der Stadt geschieden; der neue Mann aus den USA war-gar nicht so unangefochten-Musikdirektor der New Yorker Philharmoniker und eroberte die europäische Musikmetropole mit einem kühnen Luftsprung. Auf den anekdotischen Nenner haben es die Hagiographen jedenfalls später gebracht. Bernstein war für seine oft ballettmäßige Mitgestaltung der Musik berüchtigt. Den Einsatz zu Verdis "Falstaff"-die Premiere der Visconti-Inszenierung an der Staatsoper war die Initialzündung zur Einwienerung Bernsteins-gab er tatsächlich mit einem Sprung. In der Folge wurden der Maestro und die Wiener Philharmoniker zu Pionieren verfilmter Klassik. Bei den Symphoniezyklen Beethovens, Brahms' und Schumanns, beim halben klassischen und romantischen Mainstreamrepertoire wurde das Publikum in Musikverein und Konzerthaus zu begeisterten Statisten und jubelte. Die Symphonien und Lieder Gustav Mahlers standen bei diesen Dokumentationen im Zentrum. Nun sind zum 100. Geburtstag Bernsteins auch HD- Umschnitte einiger Videos erschienen, die Interpretationen von Werken dokumentieren, die nicht unbedingt zu Bernsteins zentralem Repertoire zählten. Nicht zuletzt drei Symphonien und die Sinfonia concertante von Joseph Haydn, die besonders schön hören lassen, was das Außergewöhnliche an der Beziehung zwischen dem Orchester und diesem Dirigenten war: Bernstein bringt seinen Überschwang, seinen Humor und seinen Sinn für Dramatik ein-irritiert aber die Philharmoniker nie bei der Pflege jener wienerischen Klangschule, in der diese Musiker aufgewachsen sind. Diese Mischung macht sich gerade bei den ewig vernachlässigten Meisterwerken Haydns gut; und sie gibt nachgeborenen Musikfreunden vielleicht auch eine Ahnung davon, dass nicht erst die Originalklangbewegung kommen musste, um Lebendigkeit in die Klassik zu bringen.
Die lebenslange Beschäftigung des Komponisten Bernstein mit Wagners kühnster Partitur gipfelte - nicht in Wien, sondern in München - in einer ausführlich zelebrierten, aber unter stetiger Hochspannung stehenden Aufführung von "Tristan und Isolde" mit Peter Hofmann und Hildegard Behrens. Auch sie in Ton und Bild dokumentiert, halbszenisch, was keine Halbheit darstellt, denn hier regiert die Musik-und (auch von der Kamera hofiert) der Mann, der sie am Pult des Bayerischen Rundfukorchesters dirigiert. (C-Major)