Über Wiens Opern-Zukunft

Was dürfen wir von der Staatsoper in Zukunft erwarten? Zwischentöne

Wie meinte schon Johann Nestroy: "Überhaupt hat der Fortschritt das an sich, dass er meistens größer ausschaut als er tatsächlich ist."

Was ich von den Plänen des künftigen Staatsoperndirektors halte, fragen unsere Leser per E-Mail. Die Kommentare, die im Gefolge der Spielplanpräsentation in den Boulevardmedien zu lesen waren, sind tatsächlich skurril. Man suggeriert einen Aufbrauch in eine neue Glanzzeit nach langer Durststrecke.

Das ist natürlich grotesk. Die Staatsoper stand vor der Coronasperre nicht nur finanziell, sondern auch künstlerisch so gut da wie lange nicht vor Beginn der Ära Dominique Meyers. Das vorausgeschickt, darf man den Spielplan von Meyers Nachfolger durchaus als ein gutes Versprechen bezeichnen. Das, worauf es letztendlich immer noch ankommt, scheint nämlich gewährleistet: Die großen Sänger dieser Welt kommen, um hier in Premieren und im Repertoire zu singen.

So zu tun, als wäre das erst ab September 2020 der Fall, ist lächerlich. Ebenso lächerlich wäre es, nachzurechnen, welche Sänger jetzt weniger oder mehr als früher im Haus am Ring auf der Bühne stehen werden.

Netrebko und Co. sind immer da gewesen und werden auch wieder da sein. Dass Asmik Grigorian hier debütiert, ist so erfreulich, wie es schade ist, dass Nina Stemme oder Adrianne Pieczonka gar nicht kommen. Dass Jonas Kaufmann mehr, Krassimira Stoyanova oder Tomasz Konieczny viel weniger singen, muss man nicht aufwiegen. Die Summe an Starabenden wird in etwa gleich bleiben. Die Frage ist ja viel eher, wie man es künftig mit dem Ensemble halten will, dessen Qualität zuletzt wieder auf erstaunliches Niveau geführt werden konnte. Hier findet man viele Garanten für exzellente, "aus dem Haus" besetzte Aufführungen nicht mehr.

Dafür liest man neue Namen. Es wird darauf ankommen, wie diese sich bewähren. Grundsätzlich setzt aber offenbar auch Bogdan Roscic darauf, wichtige Partien mit Ensemblesängern besetzen zu können. So singt, um zwei Neuzugänge zu nennen, Andre Schuen den Eugen Onegin und den Figaro-Grafen, Hanna Elisabeth-Müller erstmals die Arabella (bei Thielemann in Salzburg war sie noch Zdenka). Da geht man - und das ist gut so - das eine oder andere Risiko ein. Auch Stars vom Format einer Elina Garanca gehen ja aufs Ganze, wenn sie sich Partien wie die Kundry erobern. Für dergleichen war die Staatsoper stets ein guter Boden. Denken wir an die Weltdebüts, die uns Netrebko, Beczaa, Florez und andere in der Ära Meyer geschenkt haben.

Dass ein Musikdirektor wie Philippe Jordan auch diesbezüglich die Zügel in der Hand haben wird, kann nicht schaden. Dass wegen der Reduktion des Repertoires in der ersten Spielzeit nur je drei Werke von Mozart und Wagner auf dem Programm stehen, schmerzt hingegen ein wenig.

Hausdebüts von Regisseuren wie Castorf oder Tcherniakov hätten meinetwegen nicht anberaumt werden müssen. Geschmackssache? Es muss sich dann im Tagesbetrieb bewähren. Wie alles andere auch. Noch reden wir von geduldigem Papier, auf dem das Jahresprogramm gedruckt ist.

LESERBRIEF

Wünsche Herrn Roscic Glück, Kraft - und Demut

"Was dürfen wir von der Staatsoper in Zukunft erwarten?"

Gestern stellte der designierte Staatsoperndirektor Bogdan Roscic sich und sein Team vor. In blendender Rhetorik und umwerfendem Selbstbewusstsein. Er fühlt sich also ausgesandt, die Wiener Oper aus ihrem Dornröschenschlaf zu wecken und endlich interessant und modern zu gestalten; so, als ob sie das in den vergangenen zehn Jahren nicht gewesen wäre. Kein Wort der Wertschätzung hörte man von ihm für den scheidenden und überaus erfolgreichen Staatsoperndirektor Dominique Meyer. Es wäre wohl ein Zacken aus der Krone gebrochen . . . Auch scheint in Vergessenheit geraten zu sein, dass bereits unter der Direktion Meyer große Sänger wie Elina Garanca, Anna Netrebko, Jonas Kaufmann an der Wiener Staatsoper gesungen haben. Immer wieder wird freudig berichtet, dass die genannten Stars ab der neuen Spielzeit an die Wiener Oper "zurückkehren" werden.

Ich wünsche Herrn Dr. Roscic für sein Amt jedenfalls viel Glück, Kraft - und die nötige Demut.

Isabella Kecht, 4840 Vöcklabruck