Beethoven, politisch


Beethoven, seine Kaiser, seine Götter und Heroen

Für die Welt ist er Revoluzzer und Klassiker in Personalunion. Doch selbst Jubiläen bescheren uns kaum stimmigere Beethoven-Perspektiven.

20. Jänner 2020

Freude, schöner Götterfunken", gewiss, aber auch: "Ein großes deutsches Volk sind wir . . . gerecht ist unser Krieg . . . stimmt an das Feldgeschrei"; alle BeethovenJahre wieder hebt man den Meister des "Fidelio" und der Neunten Symphonie als Vorkämpfer der Political Correctness auf den Schild, und könnte damit nicht falscher liegen . . .

Was wissen wir von Ludwig van Beethoven? Der Geburtstag des musikalischen Giganten jährt sich Ende 2020 zum 250. Mal. Die Feierlichkeiten haben pünktlich zwölf Monate vorher bereits begonnen und werden schon musikalisch - wie bei sämtlichen runden Gedenktagen zuvor - wieder zu kurz greifen. Man wird vorgeben, zutage zu fördern, was ohnehin längst zutage liegt. Die Streichquartette in zyklischer Form. Die Symphonien in zyklischer Form. Alle drei Versionen des "Fidelio", sämtliche Klaviersonaten.

Schon die Sache mit den Sonaten stimmt aber nicht. Die Pianisten spielen an mehreren Abenden ihrer 32 - und übergehen damit das Faktum, dass das Wunderkind Beethoven in Bonn bereits drei Klaviersonaten komponiert und seinem Fürsterzbischof, einem Bruder des Kaisers, gewidmet hat. Diese "Kurfürstensonaten" fehlen in beinahe allen "Gesamtaufnahmen" der Beethoven'schen Klaviersonaten, und natürlich bei den einschlägigen Konzertaufführungen im Jubiläumsjahr.

Kriegs- und Freiheitsklänge. Die Musikwelt ist bequem. Sie hat am Kanon der wenigen ausgewählten, ununterbrochen präsenten Beethoven-Werke genug. Was sie dabei verpasst, weil es als angeblich taubes Gestein im OEuvrekatalog als vernachlässigbar gilt, wird auch in Jubiläumssaisonen kaum hinterfragt.

Das eingangs zitierte "Kriegslied der Österreicher" gehört indes bestimmt nicht zu den Höchstleistungen des Musikgenies. Peinlich ist es den Interpreten vor allem wegen des Texts, einer patriotischen Kampfansage an die postrevolutionären Franzosen, gegen die man freudig in den Krieg zog.

Beethoven, der Freiheitsideologe, der Napoleon Bonaparte seine "Eroica" widmete, als Kriegshetzer aufseiten des Kaisers? Dergleichen darf man angesichts des tadellosen Leumunds dieses Künstlers als Jugendtorheit abtun.

"Doch halt", singt schon der Minister im "Fidelio"-Finale. Treten wir einen Schritt zurück, um die Dinge genauer zu betrachten. Das "Kriegslied" erschien 1897. Da war Beethoven bereits im Wiener Musikleben etabliert, wenn auch die erste Gruppe der Streichquartette und die erste Symphonie noch nicht komponiert waren. Sieben Jahre später lag die Dritte, die "Eroica", vor. Und Beethoven kratzte wütend die Widmung "geschrieben auf Bonaparte" aus dem Titelblatt der Kopistenabschrift: "Ist der auch nicht anders wie ein gewöhnlicher Mensch! Nun wird er auch alle Menschenrechte mit Füßen treten, nur seinem Ehrgeize frönen; er wird sich nun höher wie alle anderen stelle, ein Tyrann werden."

Die Wut Beethovens, wie sie sein Schüler Ferdinand Ries überliefert, währte nicht lang. Immer wieder ist in der Korrespondenz davon die Rede, die Symphonie sollte "eigentlich den Namen Bonaparte" tragen.

Solange dieser Name für den Kampf um die Freiheit vom tyrannischen politischen System stand, war er genehm; sobald sich der Feldherr zum Kaiser machte, konnte er nicht mehr Synonym für das sein, was die Musik ausdrücken sollte.

Im Falle einer Symphonie, die ohne gesungene Worte auskam, musste sich das Publikum ohnehin immer seinen eigenen Reim auf die Musik machen. Selbst dort, wo bei Beethoven gesungen wird, ließ sich in vielen Fällen mühelos die Perspektive verschieben: Die "Freude" der Neunten, das "Heil sei dem Tag" im "Fidelio" sorgten gleichermaßen für Jubelstimmung in Anwesenheit von Kaiser Franz, von Reichsmarschall Göring oder von Bundes- und Staatspräsidenten der Europäischen Union.

Versteckte Hymnen. Andererseits erlauschten manche Zeitzeugen verschlüsselte Botschaften in textlosen Hymnen: "C'est l'Empereur, vive l'Empereur" riefen Offiziere in Paris, als bei der französischen Erstaufführung der Fünften, von deutschsprachigen Kommentatoren gern "Schicksalssymphonie" genannt, das C-Dur-Finalthema erstrahlte. Es ist tatsächlich einem Kriegslied der napoleonischen Armee nachgebildet und stand wohl für eine politische Idee, nicht unbedingt für eine Verherrlichung des Franzosenkaisers, dessen Truppen 1805 und 1809 in Wien einmarschierten, sehr zum Grimm des Komponisten. Der verschanzte sich während der Kanonade im Keller des Hauses seines Bruders und suchte seine ohnehin schon in Mitleidenschaft gezogenen Ohren mit Pölstern vor dem Lärm zu bewahren.

Für sein Schlachtengemälde "Wellingtons Sieg" ließ Beethoven dann 1813 freilich seinerseits schießen und böllern, um den Sieg über Napoleon nicht nur musikalisch zu illustrieren.

Das Stück hätte, wäre das Kino schon erfunden gewesen, eine prachtvolle Filmmusik für einen antinapoleonischen Propagandastreifen abgegeben und war seinerzeit mit Abstand Beethovens populärstes Werk. Die Uraufführung, bei der die Komponisten Hummel und Meyerbeer die Kanonenschüsse imitierten, wurde vom Publikum mit johlender Begeisterung quittiert. Die am nämlichen Abend uraufgeführte Siebente Symphonie degradierte der Zeitgeist zur Petitesse: "Man gab im k. k. Redoutensaal seine schöne musikalische Darstellung von Wellingtons Schlacht bey Vittoria, und vorher die dazu als Begleitung komponierte Symphonie."

Bald war Gelegenheit, dem Kriegslied ein Friedenslied der Österreicher folgen zu lassen. Die Kantate "Der glorreiche Augenblick" wurde zum Höhepunkt der künstlerischen Verbrämungen des Wiener Kongresses. 200 Jahre später gehört dieses Stück in den Augen zeitgeistiger Kommentatoren vielleicht in eine Reihe mit Huldigungskantaten, wie sie russische Komponisten vom Format eines Schostakowitsch oder Prokofieff in der Stalin-Ära der Sowjetunion verfasst haben . . .

Was der Zeitgeist ausblendet. Das erklärt, warum man diese Facette von Beethovens Schaffen komplett aus dem Bewusstsein der Musikwelt auszublenden versucht. Die Kongress-Kantate, der die edelste Druckausgabe gewidmet war, die je von einem Beethoven-Werk erschien, gehört in einen Topf mit Beethoven'schen Repräsentationsmusiken wie den ungarischen Weihespielen "König Stephan" oder "Die Ruinen von Athen", in deren Finale bei strahlender Beleuchtung eine Statue des Kaisers und Königs Franz zwischen die Musenaltäre gesetzt wird . . .

Auszublenden sind da freilich auch Anklänge an die "Ode an die Freude" in der Neunten Symphonie oder die Kadenzformel, mit der im "Glorreichen Augenblick" dem Geist Europas gehuldigt wird: Sie steht nahezu unverändert auch vor dem Bekenntnis "Credo in unum Deum" in der Missa solemnis!

Beethoven und seine Kaisergestalten, das ist die eine Sache. Beethoven und der liebe Gott eine ganz andere. Generationen hätten ihren Klassiker ja am liebsten zum selbstgerechten Titanen stilisiert, der dem Allerhöchsten trotzt wie Prometheus in Goethes kraftstrotzenden Versen.

Bei Beethoven liest es sich weniger aufbegehrend, wenn er versichert, es sei seine Absicht gewesen, bei den Singenden wie bei den Zuhörenden "religiöse Gefühle zu erwecken und dauernd zu machen" - der späten Missa sollte noch eine weitere Vertonung des katholischen Ordinariums folgen: Skizzen für eine cis-Moll-Messe haben sich erhalten. Vielleicht ist manches von der Musik, die dem Komponisten hier vorschwebte, ohne Worte in das späte Streichquartett in der gleichen, raren Tonart eingegangen, vielleicht in den langsamen Satz des nahezu gleichzeitig entstandenen a-Moll-Quartetts, den "Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit in der lydischen Tonart".

Heißt es doch schon 1818 in einem der Skizzenbücher: "Frommer Gesang in einer Symphonie in den alten tonarten -- Herr Gott dich loben wir -- alleluja". Und Neffe Karl gab im leidigen Prozess um die Vormundschaft zu Protokoll, er hätte Tag für Tag mit seinem Onkel morgens und abends gebetet.

Möglicherweise benennt ein Schiller-Zitat, das der Komponist einmal notiert, den Endzweck von Beethovens Streben und Schaffen am trefflichsten: "Die Wahrheit ist vorhanden für den Weisen/Die Schönheit für ein fühlend Herz:/Sie beide gehören füreinander." Im praktischen Leben kannte er zwar keine Scheu, etwa Verleger schlitzohrig gegeneinander auszuspielen. Aber philosophisch betrachtet . . .