Philharmoniker Historie

Die Philharmoniker öffnen ihre Archive. Einblick gab es längst!

Mit dem Schicksalsdatum Österreichs, dem 12. März, darf man ab sofort auch eine Aktion zur zeithistorischen Transparenz verbinden. Online kann man philharmonisch stöbern.

Jetzt wird man also demnächst online nachlesen können, wer dem einstigen NS-Gauleiter von Wien, Baldur von Schirach, 1966 den Ehrenring der Wiener Philharmoniker zurückgebracht hat. Ein Eingeweihter hat das von der Familie Schirachs wohlgehütete Geheimnis gelüftet. Das Orchester wird die Tatsache ab 12. März im Internet publizieren.

Mit der ,,Öffnung" und Veröffentlichung aller zeithistorisch relevanten Daten am Gedenktag des Einmarsches der Hitler- Truppen, 1938, im Netz tut die Musikergemeinschaft einen großen Schritt nach vorn. Kritik gab es zuletzt, weil angeblich nicht allen Historikern freier Zugang zu den Quellen gewährt wurde.

Deshalb wurde nun ein unabhängiges Gremium von Zeithistorikern beauftragt, die Bestände zu sichten, und alles, was von erhellendem Informationswert für die Betrachtung der Geschichte der Wiener Philharmoniker in der Zeit des Nationalsozialismus ist, öffentlich zugänglich zu machen. Für gestern, Sonntag, war die Präsentation dieser Innovation angesetzt. Darüber wird zu berichten sein.

Wenn das, was in der heutigen ORF2-Dokumentation gezeigt wird – (22.50 Uhr) – wirklich das Konzentrat alles Wissenswerten zum Thema darstellt, dann hat die Suche der Zeithistoriker offenbar kaum Neues zutage gefördert. Clemens Hellsberg, langjähriger Vorstand des Orchesters, hat ja etwa sämtliche Namen von Opfern und Vertriebenen aus den Reihen des Orchesters in seinem Buch ,,Demokratie der Könige" (1992) genannt.

Eine Ausnahme freilich gibt es – das Rätsel, welches Orchestermitglied 1966 den bewussten Ehrenring an Schirach ,,zurückgegeben hat". Es handelte sich dabei um eine Replik, denn das Original war dem ehemaligen Gauleiter von einem Besatzungssoldaten entwendet worden.
Der Name konnte vom ORF-Team im Zuge eines Interviews ermittelt werden – und sei fairerweise hier nicht vor der Sendung verraten. Eine große Überraschung, so viel Vorabinformation darf vielleicht sein, wird die Enthüllung für Kenner der Wiener Musikgeschichte jedoch nicht darstellen.

Immerhin stellt die jetzt vorliegende Datensammlung offenkundig dem Historiker Hellsberg ein glänzendes Zeugnis aus. Mehr als er seinerzeit enthüllen konnte, dürfte nicht im Philharmoniker-Archiv versteckt sein. Die Rückgabe des Rings war mit Sicherheit der Alleingang eines Musikers, der Schirach nicht zuletzt dafür danken wollte, daß er seine schützende Hand auch gegen Ende des Krieges noch über die Musiker gehalten hat.

Sicher ist wohl: Die ebenfalls seit Jahr und Tag bekannte Tatsache, daß das Neujahrskonzert seine Wurzeln im ersten Kriegswinter hat, wird auch 2014 wieder thematisiert werden. Ad infinitum. Dagegen hilft auch größtmögliche Transparenz nicht.

KORREKTUR:

Im folgenden wird berichtet, was in der ORF-Sendung behauptet wurde, daß es sich beim "Philharmonischen Boten" um den Trompeter Helmut Wobisch gehandelt haben soll. Mittlerweile (Informationsstand: 2021) hat sich herausgestallte, daß es mit größter Sicherheit ein Mitglied der Streichergruppe der Philharmoniker war, das den Besuch abstattete - und dabei die neueste Quartett-Aufnahme auf Schallplatten überreichte . . .

Walzerseligkeit unter dem Hakenkreuz

Musik und NS-Zeit. Die Wiener Philharmoniker öffnen ihr Archiv – im Internet. Ab 12. März stehen alle von einer Historikerkommission als relevant erkannten Dokumente über das Orchester in der Zeit von 1938 bis 1945 online.

Kaum eine internationale Pressekonferenz, bei der die Wiener Philharmoniker – etwa auf Gastspielreisen – über Musik sprechen können. Pünktlich Mitte Dezember werden Jahr für Jahr Leserbriefe lanciert, die auf die Ursprünge des populären Neujahrskonzertes in der Zeit des Nationalsozialismus verweisen. Historiker beschweren sich, daß sie keinen Zugang zum Archiv der Philharmoniker erhalten. Und jüngst wurde eine Begebenheit aus dem Leben des ehemaligen Wiener NS-Gauleiters Baldur von Schirach wieder thematisiert.

Das Orchester hätte dem als Kriegsverbrecher verurteilten Mann nach Absitzen seiner Haftstrafe den Ehrenring, der ihm in den frühen Vierzigerjahren verliehen worden war, zurückgegeben.

Trompeter gab Baldur von Schirach Ring

Die Geschichte ist längst aktenkundig, denn der Sohn Schirachs hat sie in der von ihm verfassten Biografie seines Vaters erzählt. Was er nicht erzählt hat: wer den Ring zurückgegeben hat. Dieses ,,Geheimnis" wird in der heute ausgestrahlten ORF-Dokumentation nun gelüftet. Es war Helmut Wobisch, exzellenter Trompeter, philharmonischer Funktionär und auch Mitbegründer des Carinthischen Sommers.

Mit Freischaltung der philharmonischen Archivbestände am Gedenktag des Einmarschs der Hitler-Truppen, dem 12. März, stehen Interessenten ab sofort nicht nur diese, sondern alle Quellen offen, die eine von Oliver Rathkolb angeführte Kommission aus Zeithistorikern aus den philharmonischen Datenbeständen, Manuskripten und Protokollen als relevant herausgefiltert hat. Nimmt man die Dokumentation als Richtschnur, die heute, Montag, Abend ausgestrahlt wird (ORF2, 22.50 Uhr), dürfte, wer das Buch des Orchestervorstands, Clemens Hellsberg, ,,Demokratie der Könige", kennt, keine großen Überraschungen erleben. Was bei Publikation des Bandes 1992 bekannt war, ist hier bereits akribisch aufgelistet.

Es ist auch auf Hellsbergs Betreiben zurückzuführen, daß 1988 in einem philharmonischen Programmheft aus Anlaß des 50. Jahrestages des sogenannten ,,Anschlusses" der Musikerkollegen gedacht wurde, die 1938 das Orchester verlassen mussten.

Die traurige Tatsache, daß diese Entlassungen von langer Hand vorbereitet waren, daß Listen existierten, welche Kollegen den NS- Rassegesetzen nicht ,,entsprachen", gehört zu den bitteren Pillen der Wiener Musikgeschichte. Hellsberg selbst bekannte mehrfach, ,,nicht verstehen" zu können, wie in einer ,,seit ihrer Gründung, 1842, basisdemokratisch organisierten Musikergemeinschaft so viele einer totalitären Ideologie erliegen konnten".

Tatsächlich waren viele Philharmoniker bereits illegale Mitglieder der NS-Partei. Nach 1938 gehörten mehr als 50 Prozent der Musiker der Partei an, einige sogar Verbänden wie der SS. Das lag bedenklich weit über dem Durchschnitt in der Bevölkerung, der kaum mehr als zehn Prozent betrug.

Bei der Durchforstung des Archivs haben die Zeithistoriker aber offenkundig nicht nur belastendes Material gefunden, sondern auch Dokumente, daß es nach 1945 Versuche gegeben hat, Kontakte mit den überlebenden Opfern zu knüpfen, die freilich – das wird auch in der ORF-Dokumentation zum Ausdruck kommen – nach allem, was geschehen war, wenig Lust verspürten, nach Wien zurückzukehren. Die klaren ,,Aufmarschpläne" der illegalen Parteimitglieder nach erfolgtem ,,Anschluss", die eine reibungslose Eingliederung des Orchesters in den nationalsozialistischen Kulturbetrieb gewährleisteten, waren wohl die erste bittere Erfahrung für die jüdischen Orchestermusiker.

Die ebenfalls nachweislichen Bemühungen führender Funktionäre der gleichgeschalteten Orchesterleitung, vertriebene Kollegen vor der Vernichtung zu bewahren, entpuppten sich mehrheitlich als untauglich. Erfolgreicher war man beim Arrangement mit der NS- Politik. Den Interventionen des Gauleiters Baldur von Schirach war es zu verdanken, daß die philharmonische Geschichte nach der Eingliederung ins ,,Reich" weitergehen konnte – und die Musiker auch in den letzten Kriegswochen nicht zur militärischen Verwendung ,,freigegeben" wurden – nicht zuletzt dieses Faktum könnte für die dankbare Geste der Ehrenring-Rückgabe verantwortlich sein.

Ein Orchester in den Händen der SS

Im Herbst 1938 war es dem sofort eingesetzten neuen Orchesterleiter Wilhelm Jerger, der SS-Mitglied war, gelungen, die bereits beantragte Löschung des Vereins ,,Wiener Philharmoniker" zu verhindern. Den Preis dafür bezahlten zunächst sieben Mitglieder des Orchesters, die dem sogenannten ,,Arierparagrafen" nicht entsprachen. Sie wurden sofort ausgeschlossen.

Darunter befanden sich – um nur eine der Tragödien zu erwähnen – prominente Namen wie jener des Konzertmeisters Arnold Rosé, dessen Tochter Alma es gelang, den Vater nach England emigrieren zu lassen. Sie selbst fiel in Holland in die Hände der Deutschen und wurde im Konzentrationslager, wo sie zunächst als Leiterin des ,,Mädchenorchesters" zahlreichen Musikerinnen das Leben retten konnte, ermordet.

„Schatten der V ergangenheit" heißt der halbstündige Dokumentarfilm von Robert Neumüller über ,,Die Wiener Philharmoniker im Nationalsozialismus", der heute, Montag, um 22.50 Uhr auf ORF2 ausgestrahlt wird. Der ,,Kulturmontag"- Schwerpunkt ,,75 Jahre sogenannter ,Anschluss'" beginnt um 22.30 Uhr, um 23.45 Uhr läuft dazu weiters der Spielfilm ,,Vielleicht in einem anderen Leben".